Im Tempel des Regengottes
Messer an die Kehle setzen, nicht hier unten in den Gewölben der Ka'ana. Sie brauchten ein Unterpfand, um den Palast und die Stadt verlassen zu können, unbehelligt von überlebenden Kriegern der Maya. Da Ajkinsaj, der reglos neben der Türschwelle lag, offenbar kaum mehr am Leben war, würden sie statt dessen ihn mit sich schleppen, den »Retter der Maya«, auf seine letzte verzweifelte Reise, die bald schon draußen im Dschungel enden würde, mit einem Dolchstich in seine Brust, wenn er Glück hatte, oder auch mit peinvollem Verdämmern.
Mit seinem ganzen Gewicht auf Ajkechs Schulter gestützt, schritt Robert durch das düstere Gewölbe auf die Gefährten zu. Er hörte ihre Stimmen, heiser vor Gier. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, was vorhin zwischen Miriam und den beiden Kumpanen vorgefallen sein mochte, unter dem Einfluß der berauschenden Dämpfe und der gemalten Szenen aus dem Palast des Hundegottes. Niemals, nicht in seinen ärgsten Träumen, hätte er vermutet, daß die drei Gefährten imstande wären, einen Menschen zu foltern, mit der lodernden Fackel und mit ihren Messern, nur damit er preisgab, wo das Ziel ihrer Begierden verborgen war. Seit er vorhin gesehen hatte, wie sie Ajkinsajs Rücken zugerichtet hatten, regelrecht zerfleischt mit ihren Messern, wußte er jedenfalls, daß auch er selbst von ihnen keine Gnade erhoffen durfte, Schonung seines Lebens oder auch nur einen barmherzig raschen Tod. Ohne seine Verletzung, das Brett auf dem Rücken, hätte er vielleicht zu fliehen versucht, durch die stockfinsteren Gänge, einzig mit der Hilfe Ajkechs. Immer wieder huschte ihm der Gedanke durch den Kopf, die Gefährten einfach hier unten einzusperren, indem er die Steintür zurück in den Rahmen drückte und auf irgendeine Weise verrammelte. Aber bisher hatte er es nicht über sich gebracht, diesen furchtbaren Plan auch nur einen Schritt weiter zu durchdenken. Ohnehin konnte er nichts dergleichen unternehmen, sagte er sich nun, solange Mabo hier drinnen bei den Kumpanen war. Stephen und Paul hatten dem Mestizen kurzerhand befohlen, ihnen beim Einsammeln der Schätze zu helfen, und nach einem raschen Blickwechsel mit Robert war Mabo seinen eigentlichen Herren gefolgt.
Die Gefährten hockten vor der hinteren Wand im Halbkreis, mit dem Rücken zu ihm, über den unförmigen Haufen gebeugt, der im Licht ihrer Fackeln funkelte und glänzte. Drei Schritte hinter ihnen blieb Robert stehen, aber sie sahen nicht einmal auf, nur Mabo hob kurz den Kopf und blickte ihn und Ajkech an. Die Augen des Mestizen glänzten fiebrig, auch ihn schien die Schatzgier gepackt zu haben, wie die anderen wühlte er mit beiden Händen in den toten Kostbarkeiten, ließ Edelsteine, Goldstücke, Jadebrocken durch seine Finger gleiten.
Voller Grauen sah Robert auf den funkelnden Hügel, die fiebrigen Gefährten hinab. Im ersten Moment hatte er geglaubt, einen Haufen Menschenknochen vor sich zu sehen, glotzende Totenschädel, Bruchstücke von Arm-und Beckenknochen. Aber was dort wüst übereinandergeworfen lag, waren keine menschlichen Gebeine, es war weitaus ärger, wie ihm schien: Köpfe goldener Götter, an die niemand mehr glaubte, der Sterblichkeit preisgegeben, Vergessen und Verfall. Kunstvoll verzierte Opfergefäße, aus denen niemals mehr geweihter Rauch aufsteigen würde, zu keiner übernatürlichen Macht. Lebensgroße Jademasken, melancholisch dreinblickend, aufeinander gestapelt wie Maisfladen. Ganze Wolken getriebenen Silbers, flirrende Fäden so fein wie Frauenhaare, die den Wirrwarr der Götter und Masken, Schnitzwerke und magischen Flöten, Opferschalen, glotzenden Idole wie ein Gespinst aus Schimmel und Spinnweb umspannen.
Furchtbar ernüchtert blickte er in die leeren Augen der Götter hinab, die ihm sterblicher schienen als der hinfälligste Mensch. Von all der alten Macht und Pracht war nichts geblieben als dieser Haufen funkelnden Plunders, und doch war es zwanzigmal mehr, als die Gefährten selbst unter günstigeren Umständen davonschleppen könnten.
4
»Alles einpacken«, sagte Stephen, »und dann nichts wie weg.«
Die Kumpane erhoben sich und begannen alle vier, auch Mabo, Säcke und Seile hervorzunesteln, die sie unter ihren Gewändern verborgen hatten. Es waren die großen Säcke, die sie von Victoria Camp bis Kantunmak mit sich geführt hatten, in jenem hohen, weic hen Packen, auf dem Robert bei ihrer Flucht auf dem Floß gelagert hatte. Noch immer stand er hinter ihnen, auf Ajkech gestützt und
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