Im Tempel des Regengottes
Steinplatte.
»Sag ihm das.« Sie hob die lodernde Fackel und stieß sie waagrecht auf Ajkinsaj zu, wie einen Degen. Doch der Priester zuckte mit keiner Wimper, sondern sah starr an Miriam vorbei.
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann machte Stephen einen weiteren Schritt nach vorn, Ajkinsaj noch enger gegen die Steinplatte drängend. »Was also?« sagte er in einem Ton, der Ungeduld und unbedingte Entschlossenheit verriet.
Was Miriam antwortete, war nicht genau zu verstehen, für Robert klang es wie »Kochen«. Ajkinsaj stand an die steinerne Tür gepreßt, mit dem Rücken zu Paul, Miriam und Stephen, so daß Robert nicht sehen konnte, wie sie den Widerstand des Priesters zu brechen versuchten. Jedoch hörte er, wie ein Tuch mit scharfem Reißgeräusch zuschanden ging, dann sah er, daß Miriam abermals mit der brennenden Fackel nach vorn stieß, in Höhe ihrer Hüften oder ein wenig darüber. Darauf erklang ein Zischen und Schmurgeln, gefolgt von einem langgezogenen gutturalen Laut aus Ajkinsajs Kehle. Ein abscheulicher Gestank stieg auf, der gleiche Brodem, der vorhin über das Dach der Ka'ana geweht war, ein Gestank nach schmorendem Haar und brennendem Fleisch.
»Jebbej«, wiederholte Paul, »aufmachen.«
Ajkinsaj stand vorgebeugt vor der Steintür, die Arme seitlich ausgebreitet, die Stirn gegen die Platte gepreßt. Stephen versetzte ihm einen Tritt, und Ajkinsaj rutschte langsam zu Boden. Sein Gesicht schleifte die Steinplatte entlang, eine blutige Schliere hinterlassend. Als Miriam und Paul zur Seite sprangen, um nicht von dem massigen Leib mitgerissen zu werden, sah Robert, daß Ajkinsajs Tunika auf dem Rücken aufgeschlitzt war, bis zu den Schultern hinauf. Was von seinem Schurz übrig war, hing ihm in Fetzen um die Hüften, und seine Hinterseite war blutüberströmt. In der Haltung eines Embryos blieb er am Boden liegen, die Knie bis an die Brust emporgezogen, mit einer Hand über die Steinplatte tastend und kaum bei Sinnen, wie Robert annahm.
Doch Paul schien seine ziellosen Bewegungen anders zu verstehen. Neben Ajkinsaj ging er in die Knie und tastete seinerseits über die steinerne Fläche. »Na also, du stinkender Zauberaffe«, sagte er, »warum nicht gleich so.«
Was genau er dort unten machte, war nicht zu erkennen, doch Robert hörte ein Knirschen, wie wenn Stein über Stein reibt, dann glitt die Steinplatte mit dumpfem Grollen zur Seite und gab ein schmales, steil abwärts führendes Kraggewölbe frei.
DREIZEHN
1
Es war mehr ein Stollen als ein Gang, so eng, daß sie nicht zu zweien nebeneinander gehen konnten, und so steil, daß Robert sich unwillkürlich an seiner Bahre festklammerte. Auch Stephen und Paul trugen nun Fackeln, die sie hinter der Steinplatte in einer Mauernische gefunden und sogleich entzündet hatten. Nebelfarbener Rauch stieg von diesen Lichtern auf, begleitet von einem drückenden Geruch nach Pilzen und nassem Unterholz.
Ajkinsaj stolperte voran, mit unsicheren Schritten und eingezogenem Kopf. Das Gewand hing ihm lose über den Schultern, auf der Rückseite gänzlich zerrissen, doch er schien diese Blöße kaum wahrzunehmen. Er wirkte noch immer betäubt, kaum bei Bewußtsein, aber vielleicht verstellte er sich auch, indem er seine Benommenheit zumindest übertrieb. Oder war es möglich, daß diese Umgebung ihm tatsächlich Furcht einflößte, weit mehr, als die Drohungen der Kumpane es jemals vermochten?
Robert dachte darüber nach, die Ränder seiner Trage umklammernd. Schreckenerregende Bildnisse bedeckten die Wände: ungeschlachte Hunde, Gedärme aus menschlichen Leichnamen zerrend, totenköpfige Wesenheiten, die hochbrüstige Jungfrauen schändeten, Fledermausgötter, deren Blick das Blut des Betrachters gefrieren ließ. Dabei herrschte hier in der Unterwelt stickige Schwüle, Wasser rann über den Boden, der mit Moosflechten überzogen war.
Er betrachtete die Bilder, die zu beiden Seiten an ihm vorbeizogen, schwankend im Takt der Schritte von Mabo und Ajkech. Auf einem Gemälde blieb sein Blick haften, einem deckenhohen Bild in Schwarz und Grau. Ein Mann, am Boden kniend, noch jung an Jahren. Fledermäuse in hellen Scharen, die ihn umkreisten, mit pfeifendem Kreischen wie sonst nur in Träumen: »Kilitz, kilitz!« Er hörte es genau, ihr gellendes Zirpen, als sie auf den Knienden niederstießen. »Kilitz, kilitz!« Aber es ist ja nur ein Bild, dachte Robert, der in diesem Moment bemerkte, daß ihr Zug neuerlich ins Stocken geraten war. Oder bildete
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