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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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ihnen aus, und große Schmetterlinge, mit Augenmustern auf den leuchtend blauen Flügeln, gaukelten von Blüte zu Blüte. Vorsichtig, um keine Blumen oder umhertaumelnden Schmetterlinge zu zertreten, ging er einige Schritte weiter und kniete beim nächsten Steinbrocken nieder.
    Dieser Stein war deutlich besser erhalten, und diesmal war es gewiß keine Einbildung: Der Brocken war offenkundig von Menschenhand bearbeitet und mit einem komplizierten Muster bedeckt worden, das tief in den Stein eingemeißelt war. Robert wälzte die Kugel im Gras herum und nahm einen belaubten Zweig zur Hand, um Erdkrumen von der Oberfläche zu wischen und allerlei bleiches Gewürm herunterzuwedeln, das auf der Unterseite hauste. Nachdem er die Kugel leidlich gesäubert hatte, hob er sie mit beiden Händen an und setzte sie aufrecht ins Gras, so daß sie, wäre es ein wirklicher Schädel gewesen, nun auf ihrem Halsstumpf aufruhte.
    Er trat einen Schritt zurück, ging wiederum in die Knie, und jetzt erkannte er auch, was die Gravuren auf dem Schädelstein darstellten. Ein Gesicht, dachte er, kein Zweifel, ein ungeheuerlich finster dreinblickendes Gesic ht, mit wulstigen Lippen und sich vorwölbenden Augen, mit steil zurückweichender Stirn und gekreuzten Pflöcken zur Verzierung der Ohren. Robert starrte in das steinerne Gesicht und dachte, daß er nie zuvor eine so vollkommene Darstellung finstersten Ingrimms gesehen hatte. Das Gesicht blickte ihn mit vernichtender Feindseligkeit an, mit einer urtümlichen Bosheit, die Regungen wie Mitleid oder Gnade vollkommen auszuschließen schien, und während er den hypnotischen Blick der steinernen Fratze erwiderte, begann sein Herz heftig zu schlagen, und sein Mund wurde trocken, als hätte er Sand geschluckt.
    Es war dieser Moment, in dem zweierlei gleichzeitig geschah: Aus einem Busch am Rand des Steilhangs kroch Paul hervor, mit arg zerzaustem Rotschopf, und Robert wurde mit einem Schlag bewußt, woran ihn das steinerne Gesicht mit den hervorquellenden Augäpfeln und der wuchtigen Nase erinnerte, die, im Halbrelief nur angedeutet, rüsselartig emporragte.

7
     
     
    »Die Hütte zerstören«, sagte Paul, »alle Spuren verwischen, nichts darf darauf hindeuten, daß sich an diese m Ort jemand aufgehalten hat.«
    Er wirkte ernster, als Robert ihn jemals erlebt hatte, und was in seinen schmalen hellgrünen Augen flackerte, schien der Angst weit ähnlicher, als er es je für möglich gehalten hätte.
    Mabo hatte auf einen Wink hin sogleich begonnen, die Hütte in ihre Einzelteile zu zerlegen, Äste, Palmzweige, vertrocknete Bananenblätter, die er, zu Bündeln gerafft, im Nu zurück in den Wald trug und im Unterholz verstreute.
    »Die Soldaten sind noch im Camp«, sagte Paul, ehe Robert danach fragen konnte. »Sie haben Stephen und mich nicht gesehen, sind aber überzeugt, daß du dich im Lager oder in der Nähe versteckt hältst. Ihr Befehl lautet, Robert Thompson ausfindig zu machen und nach Fort George zu bringen, wo er sich vor dem Gericht Ihrer Majestät verantworten soll, unter der Anklage des zweifachen Mordes.«
    Das Blut wich ihm aus den Wangen. Zweifacher Mord, dachte er, und in seinen Ohren begann es zu brausen. Also waren beide Männer ihren Schußverletzungen erlegen, der Maya-Abgesandte und der Wachsoldat? Dann war alles noch viel ärger, als er geglaubt hatte, und niemand auf der Welt, geschweige denn die Geschworenen Ihrer Majestät, würden seiner Beteuerung glauben, daß den ersten Schuß nicht er selbst, sondern Stephen abgefeuert hatte und der zweite Schuß, von dem der Wachsoldat niedergestreckt wurde, sich gegen seinen Willen aus der Waffe gelöst hatte, als er diese noch genauso in der Hand hielt, wie Stephen sie ihm zugesteckt hatte.
    »Aber genug jetzt«, sagte Paul, »die Soldaten durchsuchen die ganze Umgebung des Camps. Nicht mehr lange, und sie werden auch hier herauffinden. Aufgesessen!« Und er packte Robert am Arm und zog ihn mit sich, in den Wald hinein, wo die Pferde im Schatten angepflockt standen.
    Überrumpelt ließ sich Robert mitziehen. Im Laufen sah er noch einmal zurück, auf die tafelflache Anhöhe, das Dach eines uralten Maya-Palastes, wie er neuerlich dachte, und zu den steinernen Köpfen im Gras. Mabo und Henry machten sich bereits bei den Pferden zu schaffen, Seesack und Koffer waren schon wieder auf dem Packtier festgezurrt. Seine Schultertasche lag auf dem Rücken des Wallachs, der ruhig zwischen den Bäumen stand, als wäre nichts ihm fremder, als sich

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