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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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ragte.

6
     
     
    Gegen elf Uhr vormittags waren Paul und Stephen noch immer nicht zurückgekehrt, und bei dem Gedanken, daß die Soldaten sie verhaftet haben könnten, krampfte sich Robert die Kehle zusammen. Ohne die beiden Gefährten war er verloren, und so sehr es zutraf, daß erst ihr unbedachtes Handeln sie der Verfolgung ausgesetzt hatte, war es nun einzig ihrer Kaltblütigkeit und Vertrautheit mit der Wildnis zu verdanken, daß sie alle überhaupt noch am Leben waren.
    Er saß auf dem Steinbrocken neben ihrer Hütte, im Schatten der Ceiba, die er vorhin gezeichnet hatte, auf Papier, das sich vor Feuchtigkeit wellte, und mit einem Stift, der sich breiig anfühlte, als wäre er in der Sonne geschmolzen. Neben ihm auf dem Stein lagen Pauls Fernrohr, Stephens Pistole und seine eigene Taschenuhr, die er in seiner Schultertasche entdeckt hatte, ein Erbstück aus der väterlichen Linie, mit massivem Silbergehäuse und unbeirrbar schlagendem Uhrwerk, dem die tropische Witterung bislang nichts auszumachen schien. Obwohl er gehofft hatte, daß von diesen mechanischen Gegenständen, allesamt Beweise abendländischen Ingeniums, eine stärkende Wirkung ausginge, fand er nun, daß sie in dieser Umgebung eher einen kuriosen Eindruck machten.
    Vorhin hatte Mabo ein weiteres Steinbecken entdeckt, ein wenig abseits im Wald, gefüllt mit leidlich sauberem Regenwasser, und auf Roberts Befehl hatte Henry seine sämtlichen Kleidungsstücke gewaschen. Auch Mabo hatte die Gelegenheit genutzt und seine Lumpen in der Zisterne gesäubert. Anschließend hatten sie die triefend nassen Sachen wieder angezogen und auf der Haut trocknen lassen, dampfend in der Vormittagssonne, die rasch emporgestiegen war und mittlerweile fast senkrecht über dem Tal stand. Auch wenn ihm nach den gestrigen Strapazen fast jeder einzelne Muskel schmerzte und das Dröhnen hinter seiner Stirn noch immer nicht verebbt war, fühlte sich Robert in den sauberen Sachen doch bedeutend wohler als vorher in seinem schmutzstarrenden Unterzeug. Trotzdem hatte er den Plan gefaßt, bei nächster Gelegenheit seine unpassende Kluft gegen Kleidungsstücke zu vertauschen, die der hiesigen Witterung angemessener wären.
    Einige Schritte links von ihm, den Rücken gegen den Baumstamm gelehnt, saß Henry am Boden, gesenkten Kopfes, in sich gekehrt. Einzig der junge Diener hatte sich wieder einmal absonderlich betragen, nicht durch Drohungen noch durch gute Worte war er zu bewegen gewesen, auch sein eigenes Hemd und seine schlammverklebten Beinkleider zu reinigen. Erst viel später, nachdem sie alle drei längst zur Hütte zurückgekehrt waren, war Henry noch einmal zur Zisterne geschlichen, um die vorhin so starrsinnig verweigerte Waschung nachzuholen. Seltsamer Kerl, hatte Robert mit einem Anflug von Ärger gedacht, als der Junge irgendwann wieder aufgetaucht war, vom Kopftuch bis zu den Kniehosen vor Nässe triefend.
    Der Wald hinter ihm war erfüllt von kleinen Geräuschen, für die sich sein Ohr zu schärfen begann, einem unablässigen Rascheln und Knistern, Sirren und Brausen, leisen Rufen der Tiere auf den Bäumen oder im Dickicht, auf die andere Tiere ebenso leise Antwort gaben. Immer wieder glaubte er inmitten dieses Gewispers andere, lautere Geräusche zu vernehmen, ein Knacken wie von Schritten auf Reisig.
    Aber wenn er dann herumfuhr und in den Wald spähte, war nichts Verdächtiges zu bemerken, und auch Mabo, dessen Sinne ungleich empfindlicher waren, kauerte jedesmal ruhig wie vorher am Boden.
    Sein Blick schweifte über die Weite des Dschungels vor ihm, dampfende dunkelgrüne Unendlic hkeit. Der Ausblick, der sich von hier oben bot, mit dem breiten Strom, der den Urwald durchschnitt, war so wildromantisch wie eine Theaterkulisse, und doch kehrten seine Gedanken immer wieder zu den Ereignissen zurück, die sich unten im Camp abgespielt haben mochten oder womöglich noch abspielten.
    Nur die Ruhe bewahren, mahnte er sich - wären Stephen und Paul wirklich den Soldaten in die Hände gefallen, so hätten sie ohne zu zögern verraten, wo er sich versteckt hielt, um ihre eigenen Hälse zu retten. Es war ein zweifelhafter Trost, und doch verhielt es sich nicht anders: Solange er in Freiheit war, würden die beiden ihn zu schützen versuchen, da sie weiterhin zu glauben schienen, daß sie mit seiner Hilfe den Mayaschatz erlangen könnten. Sobald er sich aber weigerte, ihnen zu Willen zu sein, oder sofern sie selbst wegen der Schüsse im Park des Gouverneurs in Bedrängnis

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