Im Tempel des Regengottes
gewaltigen Steinbank nieder, im Licht der Fackel, die Paul in einer Wandhalterung befestigte, während die Diener sich mit den Pferden an das entgegengesetzte Ende des Saals zurückzogen, fünfzehn Schritte von ihnen entfernt.
Im vorderen Raum hatte ein dumpfiger Modergeruch geherrscht, doch hier drinnen war ein leichter Windzug zu spüren, und die Luft roch würzig und frisch. Während Robert sich noch fragte, wie das möglich sei, begann Paul in gedämpftem, drängendem Tonfall zu sprechen.
»Der Sage nach war dieser Bau in alter Zeit der Tempel eines Jaguarpriesters«, begann er, »und ich persönlich glaube, daß die Sage wahr ist. Der Jaguarpriester, Chilam Balam, soll einer der Mächtigsten des Königreichs gewesen sein, dessen Hauptstadt sich damals genau hier befunden haben muß, in diesem Tal am Labouring Creek, wo heute alles von Sumpf und Dickicht bedeckt ist. Es muß eine gewaltige Stadt gewesen sein«, fuhr Paul fort, und seine Augen funkelten, »mit prachtvollen Palästen und mit Tempeln für alle zweiundzwanzig Götter der alten Maya.«
»Wie kommt es, Paul, daß du so vieles über das alte Volk weißt?« fragte Robert. Er hatte es als Lob gemeint, aber Paul schien seine Worte anders aufzufassen.
»Du solltest Stephen und mich nicht unterschätzen«, gab er zurück. »Wir sind scho n weit herumgekommen, auf Frachtschiffen bis Indien und ein halbes Dutzendmal nach Malaga gefahren. Dort haben wir übrigens unseren Mabo auf einem Sklavenmarkt entführt, obwohl er schon an die Mauren verkauft war, aber das ist eine andere Geschichte.«
Sie beide sahen rasch zu Mabo hinüber, der im Halbdunkel neben seiner Schecke kauerte und sich um nichts zu bekümmern schien. Henry hatte sich bereits wieder von ihm abgesondert, zehn Schritte abseits kauerte er am Boden, und es schien Robert, als ob der Junge ihn aus zusammengekniffenen Augen insgeheim fixierte. Was ist nur los mit ihm? fragte er sich, keineswegs zum ersten Mal, doch da sprach Paul bereits weiter:
»Inzwischen sind wir seit mehr als fünf Jahren hier in der Kolonie. Manchmal in Fort George, meist hier draußen in der Wildnis, immer auf der Suche nach dem Mayaschatz, von dem so viele glauben, daß er nur ein Märchen, eine Legende sei. Wohin sind die Edlen von Tayasal damals geflohen, der Canek und seine Priesterschar? Wohin haben sie den Schatz des letzten Mayareichs gebracht, im Herbst des Jahres 1696, kurz bevor die Spanier die große Stadt am Lago de Peten eroberten? Niemand konnte es uns sagen«, antwortete er sich selbst, »also haben Stephen und ich auf eigene Faust nachgeforscht, jahrelang.«
In der Mahogany Bar hatten sie häufig darüber gesprochen, und Robert erinnerte sich an jede Einzelheit der Sagen oder Gerüchte, von denen Paul und Stephen erzählt hatten. Als die spanischen Invasoren damals, vor bald zweihundert Jahren, in das letzte freie Reich der Maya eingefallen waren, hatten sie die Hauptstadt verwaist gefunden und in ihrem heiligen Zentrum, auf einer himmelhohen Pyramide, Zehntausende aufgeschichteter Totenköpfe, offenbar die Überreste eines rituellen Massensuizids. Irgend etwas Furchtbares, jedenfalls ganz und gar Unerwartetes mußte nach dem Einmarsch der Spanier vorgefallen sein, wie es in Legenden und Gerüchten seit damals hieß. Hals über Kopf hatten die Invasoren die Stadt wieder verlassen, nachdem sie alles durchsucht, alles leer gefunden hatten. Hinter ihnen hatte die ganze Stadt schon lichterloh gebrannt, als sie sich über den großen See wieder davonmachten, und es sei mehr eine Flucht gewesen, hieß es, vor Spuk und Geistern, als ein geordneter Rückzug.
»Hunderten von Hinweisen sind wir nachgegangen«, sagte Paul nun, »zwanzig verschüttete Ruinen haben wir eigenhändig aufgegraben, dreißigmal mit Schlangenbissen oder Sumpffieber auf dem Totenbett gelegen und sind doch jedesmal wieder aufgestanden, um weiter nach dem Schatz zu suchen. Mit jedem Jahr, mit jeder neuen Expedition, mit jedem neuen Scheitern sind wir ihm ein kleines Stück nähergekommen, und vorgestern, in Fort George, haben wir endlich den letzten, entscheidenden Hinweis bekommen. Nichts und niemand kann uns jetzt noch hindern, den Schatz an uns zu reißen, Gold und Geschmeide, Idole und Kunstwerke, die viele Millionen Pfund wert sein müssen, in heutigem Geld gerechnet.«
Weiter hinten im Saal erklang ein Rascheln, und als Robert sich umwandte, lief ein drei Fuß großer Leguan, türkisblau gepanzert, unter lautem Fauchen auf sie zu. Paul
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