Im Tempel des Regengottes
nicht sagen können, inwiefern verwandelt, immer benommener wurde ihm, als werde er gleich wieder das Bewußtsein verlieren, oder als ob er schon davongleite, im Kanu, auf dem New River seines Traums.
»Hör mir zu, Paul«, wiederholte er schleppend. »Es sind keine Affen, es sind Maya, was in ihrer Sprache einfach Mensch heißt, wie du sicher weißt. Und das ist meine Bedingung, Paul, nenne sie nie wieder Affen«, murmelte er, in das wunderschöne Gesicht starrend, das auf einmal über ihm schwebte, so nah, daß ihre Lippen beinahe seinen Mund berührten.
Es war das Gesicht der jungen India, der er in Belize Town gefolgt war, kein Zweifel, dachte Robert, mit den vollen Lippen, der ein wenig aufgestülpten Nase. Ihre Augen, braun und mandelförmig, sahen unverwandt auf ihn herab, ernst und voll Erwartung, wie ihm schien.
Als sie die Lippen öffnete, roch er zuerst nur ihren Atem, frisch, ein wenig herb. Wie Minze, dachte er und lauschte dann, lächelnd vor Verwunderung, dem hellen Singsang, der aus ihrem Mund drang, melodisch wie Vogelzwitschern.
»Was heißt das?« fragte er und verdrehte die Augen nach hinten, auf der Suche nach Mabo. Doch hinter ihm war niemand mehr, nur der menschenleere, vor Schlamm und Pfützen glitzernde Weg, und als er wieder nach oben schaute, schwebte über ihm aufs neue das Gesicht des jungen Mayakriegers, der vor Anspannung keuchte. Wie kann es nur sein, dachte Robert, und was hat es zu bedeuten, daß mir immer wieder diese Mayafrau erscheint?
Da vernahm er einen erstickten Laut, benommen sah er an dem Burschen vorbei, zu Paul, der noch immer bei seinen Füßen stand, das Gewehr in der Hand, und auf einmal die Arme emporriß und zu taumeln begann, als ob ihn die Fallsucht überkäme. Vor ihm, bäuchlings im Schlamm, lag einer der Mayaburschen und zerrte an seinen Fußknöcheln. Paul feuerte einen Schuß in die Luft ab, dann fiel das Gewehr klatschend zu Boden, er wurde von den Füßen gerissen und fiel mit einem Fluch hintenüber, auf den Rücken, worauf gleich drei der Burschen sich auf ihn warfen und mit Fäusten und Knien seinen Widerstand brachen.
4
Wo war Mabo?
Robert fragte es sich zum wiederholten Mal, mit wachsender Angst, während er in dem Langhaus umhersah. Es bestand aus einem einzigen, gänzlich kahlen Raum, der etwa zehn auf zwanzig Schritte maß. Durch Ritzen in den hölzernen Wänden sickerte Dämmerlicht ein, und er schätzte, daß es fünf Uhr abends war, nicht mehr lange, und die Dunkelheit würde hereinbrechen. Wenn es Mabo gelungen war, aus dem Dorf zu fliehen, dachte er, konnte er Stephen abpassen, und gemeinsam würden sie versuchen, Paul und ihn zu befreien, morgen oder sogar schon im Verlauf der Nacht. Falls die Mayakrieger aber auch den Mestizen überwältigt hatten, mußten sie das Schlimmste befürchten.
Seine Handgelenke schmerzten, und seine Finger fühlten sich so taub an wie seine Zehen. Er saß auf dem blanken Lehmboden, die Hände hinter dem Rücken an einen der massiven Pfähle gefesselt, die das strohgedeckte Dach des Langhauses stützten. Auch seine Fußknöchel waren zusammengebunden, mit speckigen Lederriemen und so eng, daß sich das Blut in den Gelenken staute.
Drei Schritte rechts von ihm saß Paul, in der gleichen Weise an einen Pfahl gefesselt und noch immer ohne Bewußtsein. Paul schien übel zugerichtet, soweit dies im Ungewissen Licht zu erkennen war. Sein Kopf war auf die Brust gesunken, die linke Wange blutig verfärbt, das Auge darüber zugeschwollen. Doch er war am Leben, dachte Robert, denn ab und an stieß er einen Seufzer aus, und einmal hatte er sogar »Stephen« gemurmelt.
Immer wieder bewegte Robert seine Finger und Zehen hin und her, um das taube Gefühl aus seinen Gliedmaßen zu vertreiben. Dagegen versuchte er seinen Kopf möglichst nicht zu rühren, der immer noch schmerzte von dem Schlag, den einer der Burschen ihm auf den Hinterkopf versetzt hatte. Er glaubte zu spüren, daß dort hinten, oberhalb seines rechten Ohrs, eine Wunde klaffte, aus der Blut sickerte, in dünner Spur bis in den Nacken hinab. Aber vielleicht war es auch einfach Schweiß, der ihm dort hinunterlief, obwohl es hier drinnen leidlich kühl war. Jenseits der hinteren Holzwand toste der Wildbach vorüber, den er vorhin vom First der Pyramide aus gesehen hatte, wie er sich schäumend durch die Felsschlucht ergoß.
Je mehr Zeit verstrich, ohne daß auch noch der Mestize, geschunden und gebunden, zu ihnen hereingeschleppt wurde, desto höher
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