Im Tempel des Regengottes
verstand der Junge die Frage nicht, doch es schien Robert, als hätten sich seine Augen für einen winzigen Moment geweitet, als er den Namen hörte.
»Hat Oldboy etwas mit dem Verschwinden eurer Männer zu tun?« Er sah von einem zum anderen, in die Gesichter der Burschen, die ihn in finsterem Schweigen umringten, und zu den Alten und den Frauen hinüber, die vor den Hütten standen, so starr wie Steinskulpturen. Zweifellos hatten sie auch diese Worte nicht verstanden. Anstelle einer Antwort erhielt er nur einen weiteren Stoß in den Rücken, kräftiger diesmal, so daß er vorantaumelte, keuchend vor Überraschung und Schmerz.
Nun bekam er es doch mit der Angst zu tun. »Mabo!« Er rief es, mit gepreßter Stimme, zu leise, um sich bemerkbar zu machen. Er wollte sich umwenden, zu seinen Gefährten, doch die Burschen hatten ihn so eng umzingelt, daß er in der Drehung stockte und nur über die Schulter einen raschen Blick nach hinten werfen konnte. Zugleich stießen sie ihn abermals in den Rücken, und so wankte er weiter voran, zwischen Hütten und Palmen, in einem Turm aus Leibern auf das Langhaus am Ende des Dorfes zu, dabei seinen Hals krampfhaft nach hinten verdrehend, zur Pyramidentreppe, auf der Paul noch immer hinabstieg, gestikulierend und auf Mabo einredend, der zu ihm aufgeschlossen hatte.
Doch aus der Entfernung war nichts zu verstehen, zumal die Mayaburschen ihn immer rascher, mit Tritten und Püffen, durch die Siedlung stießen und ihr Atem ihm in den Ohren fauchte, und dann erhielt er einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf und sah eben noch, wie Paul und Mabo am Fuß der Pyramide sich auf ihre Pferde schwangen und auf die Siedlung zupreschten, während am Himmel ein Donnerschlag erschallte, dann wurde es schwarz um ihn.
3
Als Robert zu sich kam, lag er der Länge nach auf dem Rücken, mitten auf dem Dorfweg, und der Regen prasselte auf ihn herab. Die Tropfen trommelten in sein Gesicht, mit solcher Gewalt, daß es wie Salven kleiner Ohrfeigen schmerzte, und er spürte förmlich, wie er zollweise immer tiefer im Schlamm versank. Er hatte Mühe zu atmen, aber das lag nicht an den Wasserfluten, die auf ihn niederstürzten, und auch nicht an dem hämmernden Schmerz in seinem Schädel.
Ohne seinen Körper oder auch nur seinen Kopf zu bewegen, sah er behutsam um sich, indem er lediglich die Augen verdrehte. Der schmale Bursche, der eben noch vor ihm gestanden hatte, kniete nun neben ihm im Schlamm, knapp oberhalb seines Kopfes, die Linke in seine Haare gekrallt, während er mit der Rechten ein Messer an seine Kehle drückte. Vor Angst oder Anspannung zitterte die Hand des jungen Kriegers, so daß auch die Klinge auf seiner Kehle bebte. Zu seinen Füßen saß Paul, mit verachtungsvoller Miene, das Repetiergewehr im Anschlag. Auch Paul troff vor Nässe, sein Schnauzbart hing herab, das Hemd war so durchgeweicht, daß seine Rippen hervorstachen. Die anderen Mayaburschen waren zum linken Wegrand zurückgewichen, wo sie in erstarrter Haltung standen, ihre Blicke auf den Gewehrlauf gerichtet, der auf sie zie lte. Doch immer wieder sahen sie auch zu ihrem Gefährten hinab, der den hingestreckten weißen Mann kaltblütig in Schach hielt.
Robert fühlte sich unerwartet gelassen, dabei war ihm nur allzu bewußt, daß sein Leben auf dem Spiel stand. Zwei Schritte hinter ihm, so weit entfernt, daß er ihn nur mit stark verdrehten Augen sehen konnte, stand Mabo, ein wenig vorgebeugt, in angespannter Haltung, die Augen zusammengekniffen, tropfnaß auch er. Robert war sich nicht sicher, von wem im Moment größere Gefahr ausging, von dem Burschen mit dem Messer oder von Paul und Mabo, die auf einen Befreiungsschlag zu lauern schienen.
»Puul lomik!« bellte Paul eben zum dritten oder vierten Mal, wobei er mit der ausgestreckten Linken auf das Messer wies, »puul lomik!«, was sicherlich »weg mit dem Messer« oder etwas Ähnliches hieß. Aber der Junge reagierte überhaupt nicht oder allenfalls, indem er die Klinge noch fester, noch zitternder auf Roberts Hals drückte.
Der Regen toste herab, aus tintenschwarzem Himmel, und als wollte er sie beide vor den Fluten schützen, beugte sich der Bursche nun noch tiefer über ihn, so daß ihre Augen sich ineinander bohrten.
»Wer zum Teufel ist Oldboy«, sagte Robert leise, ohne seinen Blick von dem jungen, überaus finsteren Gesicht über ihm zu lösen. »Das wollte ich dich vorhin schon, auf der Pyramide, fragen, Paul.« Der Bursche über ihm runzelte die
Weitere Kostenlose Bücher