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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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niemand sehen ließ. Vom First der Pyramide aus hatte er vielfältiges Leben wahrgenommen, umherspringende Hunde, spielende Kinder, Frauen, die zwischen den Hütten im Kreis beisammen saßen. Jetzt dagegen wirkte das Dorf wie ausgestorben, um so abweisender, als der Himmel sich noch mehr verfinstert hatte und in der Ferne bereits erstes Donnergrollen erklang.
    Zögernd ging Robert weiter. Auf einmal war ihm, als ob er beobachtet würde, von lauernden Augenpaaren, die links und rechts durch Ritzen in den Hüttenwänden spähten. Eben wollte er sich umwenden, zu Paul und Mabo, als rechter Hand aus einer Hütte vier, sechs, sieben Gestalten hervorsprangen, nackt bis auf den traditionellen Schurz der Maya, sehnige Leiber, kakaobraun und die Mienen so finster, daß er zusammenfuhr.
    Er blieb stehen. Im Nu waren sie heran und bauten sich vor ihm auf, die Arme vor der Brust verschränkt oder die Fäuste auf den Hüften. Verwundert erkannte Robert, daß es Jünglinge waren, mit glatten, jungen Gesichtern. Der Älteste mochte siebzehn Jahre zählen, der Jüngste schien beinahe noch ein Kind, mit schmalen Schultern und großen Augen, doch als Robert ihn anlächelte, schaute der Junge so drohend zurück, daß er unwillkürlich die Lider senkte.
    »Ich grüße euch und komme in Frieden«, sagte er dennoch, eine Formel, die er sich vor Jahren zurechtgelegt hatte für den erhabenen Augenblick, da er, wie einst Catherwood, erstmals den Nachfahren der Maya gegenübertreten würde.
    Sie starrten ihn nur an, reglos, die Augen zusammengekniffen, die Lippen vorgewölbt, ein so malerischer Anblick, daß er den Drang verspürte, sie zu zeichnen. Er wandte sich um, zur Pyramide zurück. Was für ein grandioses Bauwerk, dachte er, sie mußte mehr als hundertfünfzig Fuß hoch sein, die Fassade hier und dort beschädigt, die Stufen der gewaltigen Treppe teilweise zerbröckelt, aber das Bauwerk selbst schien unversehrt. Paul war noch damit beschäftigt, die Stufen hinabzusteigen, er mochte auf halber Höhe der Treppe sein oder ein wenig weiter, während Mabo, noch ganz oben auf den allerersten Stufen, sich mit den Tieren abmühte, denen die steile, so unabsehbar tief abfallende Treppe nicht geheuer schien.
    Der Himmel hatte sich unterdessen gänzlich verfinstert, ein leichter Luftzug war aufgekommen, und das Donnergrollen war lauter geworden. Verwundert fragte sich Robert, in den Anblick der Pyramide versunken, wieso er nicht gleich erkannt hatte, daß es sich bei dieser mächtigen Erhebung keinesfalls um einen natürlichen Hügel handeln konnte. Die Nordseite der Pyramide, der sie sich zuerst genähert hatten, war zwar mit Schlamm bedeckt, mit Buschwerk und Bäumen bewachsen, aber Catherwood hatte Dutzende solcher Formationen gezeichnet, die sich allesamt als schlammbedeckte Pyramiden oder Paläste erwiesen hatten, viele von ihnen mit Steintrümmern auf den Dächern, ähnlich den Brocken auf dem First dieser Pyramide, Überresten eines uralten Tempels, wie er nun dachte. Er würde mit den jungen Mayakriegern dort hinaufsteigen, beschloß er, gleich nach dem Regenguß, spätestens morgen, um sie dort oben zu zeichnen, zwischen den Tempeltrümmern, da erhielt er einen Schlag auf die Schulter und fuhr herum.
    Die Burschen hatten sich noch enger an ihn herangeschoben, jetzt traten einige hinter seinen Rücken, und ehe er sich versah, begannen sie ihn voranzutreiben, mit Tritten und Püffen auf das Langhaus zu.
    »Was soll das«, sagte er, »was wollt ihr von mir?«
    Ohne ein Wort, nur mit Tritten und Hieben, trieben sie ihn weiter, zwischen den Hütten entlang, aus denen nun zahlreiche Menschen hervorkamen, Greise, Kinder, Frauen. Sie alle starrten ihn an, lauernd, mit reglosen Mienen, ohne ein Lächeln, dachte Robert, dem immer mulmiger wurde, dabei flößten ihm die kriegerischen Jünglinge nur wenig Angst ein. Sehr viel mehr als die Stöße und Püffe, die nicht wirklich schmerzhaft waren, beunruhigte ihn, daß es in diesem Dorf nur Alte, Kinder, Frauen und diese Burschen zu geben schien, überhaupt keine Männer, dachte er, als ob die Väter dieser Jungen allesamt verschleppt worden wären.
    Plötzlich blieb er stehen, so unvermittelt, daß die Burschen hinter ihm gegen seinen Rücken prallten. Dicht vor ihm stand der jüngste Krieger, ein Halbwüchsiger noch, mehr als einen Kopf kleiner als er.
    »Oldboy«, sagte er versuchsweise zu dem Jungen, der so finster wie möglich zu ihm emporstarrte, »ist Oldboy hier im Dorf?«
    Natürlich

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