Im Tempel des Regengottes
einmal so viel aus, wie er noch in der Nacht geglaubt hatte. Im Grunde, dachte er auf einmal, war es doch das, wonach er sich gesehnt hatte, unterzusinken im großen Strom.
Wieder wollten seine Gedanken abschweifen, zu jenem Thronsaalgemälde, das Catherwood abgezeichnet hatte. Er sah schon, wie durch eine Seitentür die Nacomes hereinschritten, schaurige Gestalten, nackt bis auf den blutverkrusteten Schurz, auch Brust und Arme und selbst die schwarzen, schulterlangen Haare mit Blut verklebt. Es waren die Opferpriester, ein Nacom für jeden Gefangenen, die sie sogleich auf den schwarzen Altar strecken würden, um ihnen bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust zu schneiden, mit dem Opferdolch aus Obsidian. Schon begann sich das Bild vor Roberts Auge zu verwandeln. Die Gefangenen waren nun im Freien, auf einem großen schwarzen Altar lagen sie nebeneinander. Die Nacomes beugten sich über sie und hoben eben ihre schwarzen Messer, da begann Paul an seiner Seite auf einmal gräßlich zu husten.
Er verdrehte die Augen nach rechts und sah, daß auch Paul Climpsey am Ende semer Kräfte schien. Sein schmales, füchsisch geformtes Gesicht war violett verfärbt, und nun stieß er einige Worte in der Sprache der Maya hervor, mit heiserem Jaulen, das kaum mehr menschlich klang.
Was heißt das, was sagt er? wollte Robert wieder fragen. Aber noch ehe er die Worte aus seiner Kehle gequetscht hatte, preßte Mabo schon die Antwort hervor, stammelnd und unter furchtbarem Keuchen:
»Habt ihr auch... Oldboy... stinkende Affenbrut...«
Seine Worte schienen die Greise auf dem Podest wie Fausthiebe zu treffen. Ihre Mienen wurden noch drohender, alle drei sprangen auf und kamen auf die Gefangenen zu, mit raschen Schritten und unerwartet behende. Die jungen Krieger wichen zur Seite, und einer der Alten trat nahe vor Paul, der einen grellen Schmerzensschrei ausstieß. Paul bäumte sich in seinen Fesseln auf und sackte im gleichen Moment in sich zusammen. Hoffentlich hatte er nur das Bewußtsein verloren, dachte Robert, ebenso schien es möglich, daß der Alte ihn getötet hatte.
Was genau geschehen war, hatte er nicht erkennen können, und er fand auch keine Gelegenheit, darüber nachzudenken, denn schon hatten sich die beiden anderen Greise vor ihm aufgebaut. Der eine musterte ihn mit offenkundiger Aufregung und murmelte immer wieder die unbegreiflichen Silben tunichsaantoj, während der andere so nahe an ihn herantrat, daß Robert seinen Atem roch. Es war der Uralte, der in der Mitte des Thrones gesessen hatte, erst jetzt bemerkte er, wie hochgewachsen dieser Greis war, kaum kleiner als er selbst. Gegen den furchtbaren Zug der Schlinge senkte er ein wenig das Kinn, um den Alten anzusehen, und erstarrte vor Entsetzen, als er in die Augen des Greises blickte, tiefe Höhlen, in denen milchigweiße Augäpfel hin-und herrollten.
Er ist blind, dachte Robert. Es war nichts Ungewöhnliches, daß alte Menschen ihr Augenlicht verloren, dennoch flößte ihm der Anblick dieses Greises Grauen ein. Auf das Ärgste gefaßt, mußte er dulden, daß der Uralte nun seine Hände hob und sein Gesicht zu betasten begann. Er würde ihm die Augen auskratzen, dachte Robert, ihm den Kehlkopf herausdrehen oder sonst etwas Gräßliches machen, wie eben der andere Alte, der Paul mit einer versteckten Bewegung furchtbare Schmerzen zugefügt hatte. Aber die rauhen Hände des Uralten tasteten nur über sein Gesicht, die Stirn entlang, die Nase, die Wangen hinab und über sein Kinn, während die beiden anderen Alten in wachsender Aufregung miteinander murmelten.
Was sagen sie, Mabo? In Gedanken versuchte er den Mestizen zu beschwören. Er wagte nicht nach ihm zu rufen oder sich überhaupt zu rühren, solange dieser Greis so nahe vor ihm stand und ihn betastete. Mit knochigen Fingern fühlte er nun über seine Schultern, noch einmal wanderten die Hände zu seinem Gesicht hinauf und blieben wie erstarrt auf seinen Wangen liegen.
Einen Moment lang geschah überhaupt nichts. Auch die Zeit schien erstarrt. Nie mand sprach etwas oder regte sich. Nur das Tosen des Wildbachs war zu hören und ihre keuchenden Atemzüge. Dann stieß der Uralte unversehens einen Wortschwall hervor, mit bellender Stimme, der wiederum mehrfach die Silben tunichsaantoj enthielt. Und ehe Robert begriffen hatte, sprang der junge Krieger vor und löste seine Fesseln, so daß er zu Boden sank und mit ungläubigem Entzücken die köstliche Luft atmete, die ihm auf einmal wieder durch die Kehle
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