Im Tempel des Regengottes
ein Besitztum, aber er hatte ja keine Wahl. Lehnte er ab, so würde Iltzimin den jungen Krieger töten lassen, also mußte er das Geschenk annehmen, um Ajkechtiims Leben zu retten. Und im übrigen, dachte er dann, konnte es für sie nur von Vorteil sein, wenn dieser junge Krieger auf ihrem weiteren Weg durch den Dschungel an ihrer Seite war.
»Sage Iltzimin, daß ich das Geschenk annehme«, wies er Mabo an.
Der Mestize hatte seine Worte kaum übersetzt, da erhoben sich der Schamane und Ajkechtiim, ergriffen seine Arme und führten ihn zum Türloch, ehrerbietig, doch mit festem Griff, so daß ihm nichts anderes übrigblieb, als das Jaguarfell um seinen Leib zu wickeln und an den thronenden Alten vorbei nach draußen zu treten, in das gleißende Licht des neuen Tages.
7
Sie führten ihn hinter das Langhaus, wo das Wasser durch die Schlucht toste, mit donnerndem Hall. So schmal der Bach schien, so reißend schoß er durch den Spalt, in dreißig Fuß Tiefe. Unablässig klatschte Gischt an die Felswände, die mit triefendem, blaugrünem Moos überzogen waren. Schmale Stufen im Fels führten hinab, bis zu einem Grat auf halber Höhe der Schlucht.
Der blinde Schamane ging voraus, mit raschen Schritten, ohne jemals zu stocken. Robert folgte ihm zaghaft, wobei er mit einer Hand an der schmierigen Felswand Halt suchte und sich mit der anderen das Jaguarfell über der Brust zusammenhielt. Wasserdampf schwebte zwischen den Schluchtwänden, so dicht wie Nebel, und ein Ungewisses Licht herrschte hier unten, grünlich düster, wie in einer Grotte, doch die Luft war angenehm frisch.
Er hatte noch immer nicht herausgefunden, wohin sie ihn eigentlich führten, aber je länger sie gingen, desto weniger geheuer schien ihm die Angelegenheit. Mit angehaltenem Atem balancierte er auf dem Felsgrat entlang, fünfzehn Fuß über dem reißenden Wasser. Der Pfad war so schlüpfrig wie Froschhaut und so schmal, daß man kaum zwei Füße nebeneinandersetzen konnte. Hinter ihm schritt Ajkechtiim dahin, leichtfüßig, mit federndem Gang, als müsse er an sich halten, um nicht tatsächlich wie ein Frosch voranzuspringen. Den Schluß ihres kleinen Zuges bildete Mabo, dem Robert im letzten Moment gewunken hatte, sie als Dolmetscher zu begleiten, aber auch zu handfesterem Beistand, falls es notwendig werden sollte.
So betäubend laut donnerte unter ihnen das Wasser durch die Schlucht, daß es selbst Gedanken übertönte. Fast unmerklich neigte der Grat sich abwärts, dem Lauf des Wassers folgend, und nun erkannte Robert, daß Pfad und Bach in einer Bergwand verschwanden, wenige Dutzend Schritte vor ihnen.
Die Öffnung im Berg war regelmäßig geformt wie ein Tor, mit glatten, senkrechten Seiten. Robert wollte sie prüfend in den Blick fassen, auf einmal schien es ihm möglich, daß auch diese gewaltige Erhebung von Menschenhand errichtet war. Aber da trat Iltzimin schon hindurch, dicht hinter ihm folgten Ajkechtiim und Mabo, und so schlüpfte er, ohne zu verharren, hinter dem Schamanen in den Berg.
Drinnen wurde der Felsspalt noch enger, ohrenbetäubend laut donnerte das Wasser dahin, doch sie waren noch keine zehn Schritte tief im Berg, als das Tosen der Flut verebbte. Auf einmal war nur noch leises Gluckern und Tropfen unter ihnen zu hören und gedämpftes Brausen von draußen. Verblüfft blieb Robert stehen und spähte in den Felsspalt zu ihren Füßen. Dort unten, dachte er, wenige Schritte hinter ihnen, mußte ein Loch im Boden klaffen, groß genug, daß der reißende Bach sich zur Gänze hinein ergoß.
Er sah auf, zu Iltzimin, der wartend vor ihm stand, und mit plötzlichem Unbehagen kam ihm in den Sinn, was der Mestize vorhin berichtet hatte, ehe sie in die Schlucht hinabgestiegen waren. Gestern abend, als Paul überwältigt worden war, hatte Mabo die Verwirrung genutzt, um aus dem Dorf zu fliehen, und sich auf der Pyramide verborgen, zwischen den Tempeltrümmern, in der Gewißheit, daß Stephen, Miriam und Henry diese Stelle passieren mußten. Doch nachdem er einige Stunden im Dunkeln gewartet hatte, hörte er auf einmal ein Fauchen wie von einem Jaguar, dem eine weitere Raubkatze antwortete, scheinbar ganz in seiner Nähe, mit noch lauterem Schnauben. Die Jaguare schienen ihn zu umkreisen, einmal erklang ein Fauchen von links, dann wieder knackten rechts von ihm Zweige am Boden. Von Angst erfaßt, war Mabo endlich aus seinem Versteck hervorgestürzt, auf die freie Fläche zwischen den Trümmerstücken. Da aber waren mehrere
Weitere Kostenlose Bücher