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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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über Kopf die Stadt verließ.
    »Deine Mutter wußte, wie man einen Mann verrückt macht. Sie hat meine Notlage ausgenutzt, verstehst du? Aber kein Mann, der seinen Verstand einigermaßen beisammen hat, läßt sich von einer Frau auf Dauer am... na, du weißt schon, an seinem verdammten Gürtel herumführen.«

3
     
     
    Seit Stunden lag Helen in ihrer Hängematte, doch ein ums andere Mal fuhr sie aus unruhigem Halbschlaf hoch. Tausenderlei sorgenvolle Gedanken summten durch ihren übernächtigten Geist: Ein Wolkenbruch könnte sie im Schlaf überraschen (am glitzernden Nachthimmel über ihr war kein Nebelfädchen zu sehen); Mr. Thompson mußte die Nacht ohne ihren Schutz verbringen, fünf Meilen westlich oder mehr (Mabo und Mr. Climpsey würden ihn zuverlässiger beschützen, als der unbeholfene Reitbursche Henry dies je vermöchte); Raubtiere, Schlangen, feindselige Waldbewohner könnten sie im Schutz der Dunkelheit überrumpeln (vorhin hatte Mr. Mortimer geräuschvoll seine Pistole geladen, aber Mortimer und Miriam hatten sich, nachdem sie wieder aufgetaucht waren, auf der anderen Seite der Lichtung eingerichtet, und der unglückselige Henry besaß nicht einmal einen rostigen Dolch); die Barmherzige Schwester Miriam könnte in der Nacht zu ihr herüberschleichen, um mit schamlosen Händen nachzuprüfen, was es mit Henry tatsächlich auf sich hatte (hatte sie ihn vorhin nicht deshalb auf die Probe gestellt: weil sie die Geschlechtsgenossin unter Henrys Burschenkleidern witterte?); Mr. Sutherland würde ihr im Traum erscheinen, sowie sie in tieferen Schlaf fiel (er hatte »schicklicherweise« lediglich angedeutet, wie Ixpaloc es angestellt hatte, ihn »verrückt zu machen«, aber diese Andeutungen, sein trunkenes Lachen und die selbstvergessenen Laute, die von Mortimers und Miriams Schlafplatz zu ihr herüberdrangen, vermengten sich zu Phantasien von erhitzender Unzweideutigkeit).
    Ein Nachtvogel stieß einen Klagelaut aus, der Helen aus irgendeinem Grund an die Glocken von St. John's Cathedral erinnerte, ihren schütteren Stundenschlag zur Mitternacht, den sie in den letzten Wochen mehr als einmal mitgezählt hatte, schlaflos in ihrem Bett unter der Dachschräge. Sie dachte an Mama Doro und verspürte einen schmerzhaften Stich. Auch wenn sie mich ebenso schändlich belogen hat wie Mr. Sutherland, sagte sich Helen, es war trotz allem nicht recht von mir, Mrs. Harmess ohne ein erklärendes Wort zu verlassen.
    Auch ihre Kolleginnen im Kopistensaal von Government House würden sich fragen, warum Helen Harmess von einem zum anderen Tag spurlos verschwunden war.
    Von ihren Sorgen und ihrem Gewissen gepeinigt, wälzte sie sich so heftig hin und her, daß ihre Hängematte bedrohlich zu schwingen begann. Die Palme an ihrer Fußseite knarrte, oder war dies ein Knacken gewesen, von schleichenden Schritten im Unterholz? Mit angehaltenem Atem lauschte sie in die Nacht.
    Nein, nichts. Nur Mr. Mortimer und seine selbstlose Nonne schienen noch immer ihrem Liebesspiel hingegeben, oder was sonst sie dort drüben treiben mochten, zwanzig Schritte linker Hand. Helen hörte, wie Miriam leise auflachte und Mr. Mortimer ein katerhaftes Schnauben von sich gab. Dann herrschte wieder Stille. Aufs neue begannen die Gedanken in ihrem Kopf zu summen, von beunruhigenden Halbschlafbildern untermalt:
    Miriam, die den Burschen Henry zu sich kommandierte, zu ihrer Hütte aus Ästen und Palmwedeln, die Mortimer am Abend im Handumdrehen errichtet hatte. Da war die Nacht bereits hereingebrochen, und Henry tappte ängstlich über die dunkle Lichtung zu ihnen hinüber. Im Türloch, durch eine Fackel im Innern der Hütte beschienen, stand Miriam, allem Anschein nach zur Nachtruhe bereit. Ihre Kutte hatte sie sich wie ein Laken um den Leib gewickelt, so daß ihre üppigen Brüste, die mächtigen Schenkel nahezu unbedeckt blieben, und die goldene Haarflut strömte ihr bis über die Alabasterschultern hinab. »Was starrst du mich so an?« fauchte sie Henry entgegen, doch in ihren Augen war ein Glitzern, tückisch und lüstern, das ihre Worte Lügen strafte. »Komm herein und mach diese Hängematte fest - geschwind!« kommandierte sie und trat zur Seite, so daß Helen keine Wahl blieb: Widerstrebend schob sie sich an der nahezu nackten Nonne vorbei in den engen Hüttenraum.
    Mr. Mortimer machte sich draußen bei den Pferden zu schaffen, die er durch einen Wall aus Dornbüschen vor nächtens umherstreifenden Jaguaren gesichert hatte. Offenbar hatte Miriam

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