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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Nein!« Qualvoll langsam verblaßte der Traum. Wie erstarrt lag Helen zwischen Schlaf und Wachen, nur das Herz klopfte ihr schmerzhaft in der abgeschnürten Brust.
    Erst ganz allmählich dämmerte ihr, weshalb sie, dem Traum entronnen, gleichwohl auf ihrem Bauch lag, wie eben, als sie auf den Leichnam niedergesunken war. Sie mußte sich so sehr hin-und hergeworfen haben, daß sie im Schlaf aus dem schaukelnden Bett gefallen war. An ihrer Wange spürte sie das feuchte Gras, naß vom Morgentau und von ihren Tränen.
    Was für ein furchtbarer Traum, dachte sie noch Minuten darauf, als sie sich aufgerappelt hatte und im grauen Morgenlicht ihre Habseligkeiten einzusammeln begann. Was hat es nur zu bedeuten, daß ich Mr. Thompson und mich selbst anstelle meiner Eltern erblickte - und Robert tot und ich von Sinnen vor Trauer und Schmerz!
    Wahrend sie beklommen darüber nachsann, dabei im Gras umherkrauchend, auf der Suche nach einer Sandale, die sich anscheinend im Schutz der Nacht davongemacht hatte, drang nach und nach ein rhythmisches Stampfen in ihr Bewußtsein, das, anfangs leise und fern noch, mit reißender Raschheit näher kam.
    Pferde, im Galopp, konnte Helen eben noch denken, dann sprengten Soldaten auf die Lichtung, und nur Augenblicke später waren sie alle drei entdeckt, überrumpelt, ans Licht gezerrt: Mortimer in Unterhosen, Miriam in barmherziger Blöße und der Pferdebursche Henry, mit verrutschtem Turban und halbtot vor Angst.
    Einer der Kavalleristen, die Büsche und Lichtung durchkämmten, auf der Suche nach »dem zweifachen Mörder Robert Thompson«, war Charles Muller, Wachsoldat von Government House.

5
     
     
    »Thompson ist nicht bei uns«, sagte Mortimer zu dem königlichen Leut nant. »Er ist vorausgeritten und hat meinen Kameraden Climpsey gezwungen, ihn zu begleiten.«
    Der Leutnant pflanzte sich vor seinen Gefangenen auf, am Rand der Lichtung, bis zu den Knien im morgenfeuchten Gras.
    »Ich muß dennoch darauf bestehen, daß Sie mir Ihre Waffe aushändigen, Sir.«
    Tatsächlich ragte der Griff der silbernen Pistole aus dem Bund von Mortimers Unterhosen, einem sackartigen, schmutzstarrenden Textil, das ihm vom Nabel bis zu den Knien reichte. »Obwohl ich mit der ganzen Sache nichts zu tun habe«, murrte Mr. Mortimer, »so wenig wie Mr. Climpsey und wie diese heilige Frau, Schwester Miriam.«
    Er zeigte auf die Nonne, die zu seiner Linken im Gras stand, das Haupt mit dem verworrenem Goldhaar züchtig gesenkt. Von den Soldaten überrumpelt, war sie offenbar derart überstürzt in ihre Kutte gefahren, daß das sonst so anspruchslose Kleidungsstück dramatisch durcheinandergeraten war. Jedenfalls umschloß der braune Stoff ihren Rumpf straff wie ein Wurstdarm, aus dessen oberem Ende reichlich loses Fleisch hervorquoll.
    Der Leutnant warf ihr einen nachdenklichen Blick zu, entschloß sich dann aber offenbar, seine Zweifel für sich zu behalten. »Sie haben Mr. Thompson zur Flucht verholfen, Sir«, sagte er in mißbilligendem Tonfall zu Mortimer, während er eine Hand nach der Pistole ausstreckte.
    Alle sechs Soldaten, die der Leutnant befehligte, hielten mittlerweile ihre Repetiergewehre auf die Gefangenen gerichtet. Klugerweise zögerte Mortimer auch nur einen winzigen Augenblick, dann händigte er dem Leutnant seine Waffe aus.
    »Er hat uns gezwungen, ihn aus der Stadt zu bringen«, behauptete er.
    »Mit dieser Pistole?« Die Brauen zusammengezogen, musterte der Leutnant die silberne Waffe, ehe er sie in seinen eigenen Gürtel schob. »Nun, Sir, wir werden sehen. Verhalten Sie sich vernünftig, dann bringen wir Sie alle wohlbehalten nach Fort George zurück, wo Sie ein faires Gerichtsverfahren erwarten dürfen. - Und wen haben wir übrigens hier?« Jählings wandte er sich Henry zu, der ein wenig abseits gestanden hatte, mit abgewandtem Kopf und noch immer halb ohnmächtig vor Angst.
    »He... Henry O'Rooney, Sir. Mr. Thompsons Die... Diener.« So verdächtig sie sich durch ihr Gestammel zweifellos machte, sagte sich Helen, an ihrer Stimme würde Charles Muller sie jedenfalls nicht wiedererkennen. Sie hatte gekrächzt wie ein lungensüchtiger Rabe.
    Der Leutnant nickte dem Burschen nur flüchtig zu, an braunhäutigen Domestiken offenbar wenig interessiert. Auch Sergeant Muller hatte, wie seine Kameraden, dem unscheinbaren Henry nur einen kurzen Blick zugeworfen, in dem sich keinerlei Erkennen spiegelte. Helen atmete vorsichtig auf, soweit das vermaledeite Tuch um ihre Brust dies erlaubte.
    Der

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