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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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einmal war ihm, als hätten die Jaguarpriester Mabo herbeigeholt, ehe der Chilam Balam zu sprechen begann, damit der Mestize, an der Tempelwand kauernd, die Worte des obersten Priesters übersetzte. Oder gehörte die heisere, ein wenig atemlose Stimme, die nun in seinem Innern nachhallte, einem der Jaguarpriester, die mit ihnen auf dem schwarzen Altar gekauert hatten? Einen Moment lang dachte er noch darüber nach, doch in seinem Kopf fand er dieses Mal keine Gewißheit, nur den dröhnenden Schmerz.
    »Es geschah im neunzehnten Tun des dritten Katun«, fuhr der Chilam Balam fort, »daß die Götter dich nach Tayasal sandten, in die heilige Stadt des letzten Mayareichs. Dort solltest du dem Canek und seinen obersten Priestern helfen, eine neue Stadt zu errichten, mit prachtvollen Pyramiden und Tempeln zu Ehren der Götter, binnen eines Sonnenjahres, wie es das Gesetz befiehlt. Doch du verschmähtest diesen Auftrag, Ajb'tsäjju'um d'ojis, und flüstertest den Obersten von Tayasal ein, daß sie getrost in der alten Stadt verharren sollten. Und so kam es, daß Tayasal, das letzte freie Reich unseres Volkes, von den fahlhäutigen Eindringlingen überrannt und vernichtet wurde. Nur der Canek und seine edelsten Priester und Krieger konnten entkommen, in die Tiefen des Regenwaldes.«
    Eine ganze Stadt errichten, binnen eines Jahres? Das alles ergab überhaupt keinen Sinn, dachte er, es war wie verwehte Fetzen eines unergründlichen Traums. »Und der Schatz des Canek?« Die Frage war ihm plötzlich durch den Kopf geschossen, im nächsten Moment biß er sich auf die Lippe, doch es war zu spät. Sein Herz begann angstvoll zu pochen, im gleichen holpernden Takt wie die Trommelschläge, während sich der Blick des Chilam Balam in seine Augen bohrte, vor Zorn noch weiter verfinstert, wie ihm schien.
    »Deine Erinnerung scheint zurückzukehren«, sagte der greise Priester endlich, und seine Rechte fuhr über die verschrumpften Brüste, die ihm wie gescheckte Säcke vor dem Rumpf hingen.
    »Tatsächlich hatten der Canek von Tayasal und die Seinen viele Kostbarkeiten zusammengetragen, zu Ehren der Götter, Opferschalen aus Gold, Götterfiguren aus Jade und manches andere, außerdem eine Tausende Faltbücher umfassende Bibliothek.« Wieder unterbrach er sich und durchbohrte Robert mit seinem Blick. »Wie es heißt, Gesandter der Götter, sollen diese Bücher damals deinen Geist verwirrt haben, so daß es dir gefiel, deinen Auftrag zu vernachlässigen und statt dessen nach der Mathematik der Wiederkehr zu forschen, dem göttlichen Gesetz des Todes und der Wiedergeburt.«
    So rätselhaft auch diese Rede war, die der Chilam Balam mit pfeifender Stimme hervorstieß, noch weit verwirrender fand Robert die Geschehnisse, die sich zugleich neben ihm abspielten: das Plätschern des Blutes in die beinernen Becher, den keuchenden Atem der Priesterinnen, die den Stachel in der hervorgestreckten Zunge drehten, das leise Stöhnen der Jaguarpriester, die weiterhin die Klinge über ihre Leibesmitte führten, mit erschreckender Beharrlichkeit.
    Unablässig sprach unterdessen der Chilam Balam weiter, von der Hoffnung, die der Canek und die Edelsten von Tayasal in die Ankunft des Götterboten gesetzt hatten, und von dessen schmählichem Versagen. Die unsichtbare Trommel wummerte, und Robert spürte, wie Hitze und Erregung in den zusammengedrängten Jaguarleibern anstiegen, eine Ekstase, die sich aus den berauschenden Giften, dem stetigen Blutverlust und der trancehaften Rede ihres Oberpriesters nährte. Fauchender Atem entrang sich den Jaguarpriestern und immer lauteres Stöhnen, und obwohl im ungewissen Licht nur wenig zu erkennen war, schien es Robert, als ob manche Priesterinnen und Priester immer wieder zusammenfänden, momentweise, zu raschem Austausch von Berührungen, oder auch von rinnendem Blut. Er lauschte dem zwittrigen Uralten, und währenddessen spürte er, wie auch in ihm die Erregung immer steiler anstieg, zu einem harten, jagenden Pochen, schmerzhaft und lustvoll zugleich.
    Endlich ließen die Priesterinnen und Priester von ihren Wunden ab, und im selben Moment verstummte der Chilam Balam. Die schwarzen Stacheln wurden zur Seite gelegt, und die Jaguarpriester hoben ihre Becher aufs neue empor, bis in Höhe der Brust. Auch die Trommel schwieg, jedoch nur für einen Moment, dann setzte sie desto lauter, langsam und drängend, wieder ein. Robert sah ein Funkeln in den erhobenen Bechern, und da erst begriff er, daß sie bis zum Rand gefüllt

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