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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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starrte er den Uralten fassungslos an. Er sollte eine Armee von Mayakriegern anführen, im Bündnis mit den Priestern des rüsselnasigen Götzen Cha'ac? Nur langsam sickerte der Sinn der schrecklichen Worte in sein Bewußtsein, langsamer als das Blut, das, mit kreisenden Bewegungen verrieben, durch alle Poren in seine Haut drang.
    Deshalb also bin ich hierhergekommen, in den Regenwald der Maya: um mein Leben zu opfern für eine aberwitzige Illusion? Verrückt, dachte er, und wann sollte diese unmögliche Schlacht bittesehr stattfinden? Ob die Prophezeiung nicht auch ein Datum enthielt? Schließlich waren die Maya, zumindest die alten Erbauer der Pyramiden, nicht zuletzt für ihre unübertrefflichen Kalender berühmt.
    »An Neun Oc Drei Xul wirst du in Kantunmak eintreffen«, sagte der Chilam Balam, »am Tag des Hundegottes, heute in dreizehn Tagen, heilige Dreizehn, Zahl der himmlischen Götterwelten.« Die Jaguarpriester ölten Roberts magere Brust, seine knochigen Schenkel mit ihrem Blut, und der Uralte fuhr fort, seine Prophezeiung aus sich herauszupfeifen. »An Sechs Ahau Dreizehn Xul wirst du sterben, Gesandter der Götter«, rief er, »heute in dreiundzwanzig Tagen, heilige Dreiundzwanzig, Zahl der Gesamtheit aller Welten, von einem Krieger deiner Königin niedergestreckt am dritten Ta g der großen Schlacht.« Robert war aufgesprungen, jetzt sah er es wieder vor sich, qualvoll, doch länger ließ sich die Erinnerung nicht zurückhalten: Im Kreis der kauernden Priester, neunzehn Jaguarfratzen, die zu ihm aufsahen, stand er auf dem Altar, taumelnd, nahezu nackt, am ganzen Leib mit Blut beschmiert. Er würde sich mit einem Sprung retten, dachte er, von dem Kubus hinab und durch den Gang davon, bevor sie zur Besinnung kämen. Aber er war so berauscht und durcheinander, daß schon der Sprung mißlang. Er stieß gegen eine Schulter, fiel zu Boden, und ehe er sich versah, hatten sie ihn ergriffen und hierher geschleppt, zum Gitter über dem Verlies der Gefährten, wo sie ihn anbanden, sachte und achtsam, so daß die Fesseln ihn nicht schmerzten, aber doch so fest, daß er sich nicht befreien, nicht die Flucht vor dem Schicksal ergreifen konnte, das ihre Götter ihm zugedacht hatten: Opferung seiner selbst, um die mondhäutigen Eroberer ihrer Welt zu vertreiben und seine Schuld aus einem früheren Leben zu tilgen, indem er in dreiundzwanzig Tagen starb.

SIEBEN

1
     
     
    »Wo ist Thompson?« Richard Chillhood kauerte so dicht vor Helen, seine Waffe noch immer im Anschlag, daß die Mündung fast ihre Brust berührte. Seine Augen glitzerten wäßrig im Halbdunkel der Schlucht. »Maul auf, Affe, oder ich laß' dich tanzen.« Sein freudloses Grinsen entblößte kräftige gelbe Zähne.
    »Mr. Thompson und Mr. Climpsey sind vorausgeritten, Sir.« Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf. Eine Mücke umschwirrte ihre Stirn, doch sie wagte nicht, nach dem Quälgeist zu schlagen. »Mehr weiß ich nicht, verzeihen Sie - ich bin nur der Pferdebursche.«
    »Affenbursche, meinst du.« Sergeant Chillhoods Linke schnellte nach vorn und versetzte ihr eine mäßige Backpfeife.
    »Also, Henry - so war doch der Name? Laß hören.« Er grinste abermals.
    Sie alle drei kauerten im Schlamm, einander belauernd wie wilde Tiere. Das Herz klopfte Helen bis in die Kehle hinauf.
    »Ja, Sir, das stimmt. Henry O'Rooney heiß' ich... Es war Mr. Mortimers Idee«, fügte sie hinzu, ohne eine halbwegs klare Vorstellung, wie sie fortfahren sollte. »Mr. Mortimer sagte, daß wir uns aufteilen sollten, um... ohne Aufsehen an dem Indiodorf vorbeizukommen, weiter vorne in der Schlucht.«
    Chillhood starrte sie an, sein nahezu viereckiges Gesicht war stark gerötet, und noch immer zitterte die Mündung seiner Waffe vor ihrer Brust. Von der Seite spürte sie Charles Mullers Blick auf sich, nachdenklich, wie sie auf einmal glaubte, gleich würde er sich erinnern, und was dann? Was würden die beiden Männer mit ihr anstellen, wenn sie herausbekämen, um wen es sich bei dem vermeintlichen Pferdeburschen tatsächlich handelte?
    »Und hinter dem Dorf wolltet ihr wieder zusammenkommen, stimmt's?« Sergeant Chillhood schnitt eine Grimasse in Mullers Richtung, die hinlänglich klarmachte, was er von Henry O'Rooneys Geisteskräften hielt.
    »Ja, Sir, das stimmt«, wiederholte Henry. »Wo genau dieser Treffpunkt sein sollte, weiß ich allerdings nicht.«
    »Aber du kennst den Weg am Dorf vorbei?«
    »J-ja, Sir. Dort entlang.« Sie deutete vage den Hang hinab, auf ein

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