Im Tempel des Regengottes
Obsidian.
Zur Stunde des Muan kauert der Seher auf seinem Altartisch, In seinem hängenden Kopf der Furor, das Fauchen des Jaguars. In seiner Hand zuckt Ukábk u, die gezähnte Begierde: Bade, lade, labe den Balam mit Strömen von Blut.
Er ist Chilam Balam, einleibiger Zwilling, Gefäß des Gefleckten, Und der schwarze Glanz Ukábkus färbt die Glans des Opferers rot. Schreiend offenbart er, was selbst dem König verdeckt ist, Und seine hängenden Brüste färben die Zähne Ukábkus rot.
Robert erschauerte, dabei war es in der Düsternis des Höhlentempels drückend warm. Undeutlich entsann er sich, warum sie ihn an dieses Gitter gefesselt hatten, buchstäblich von Kopf bis Fuß mit Blut verschmiert. Im Moment zog er es vor, diesen Punkt nicht zu berühren, lieber überließ er sich der Erinnerung an die Geschehnisse davor, aufwühlende Ereignisse, bedrängender als alles, was ihm je in seinem Leben widerfahren war. So unbequem seine jetzige Lage auch war, von den Jaguarpriestern hatten sie nichts zu befürchten, dachte er, weder er selbst noch seine Gefährten. Sie würden ihnen nichts antun, allerdings würden sie auch nicht zulassen, daß er die Flucht ergriff.
Mittlerweile mußte es scho n früher Abend sein. Nicht mehr lange, und die Nacht würde hereinbrechen, was allerdings hier drinnen keinen Unterschied machte, denn im Tempel des Jaguargottes herrschte ewige Finsternis. Aj'uch', Zermalmender, auch dieser Name des jaguarköpfigen Götzen war ihm schließlich noch eingefallen während des Rituals, an dem er vorhin teilgenommen hatte, auf dem Altarquader im Tempelsaal. Ein Wort wie ein letztes Erschauern, Aj'uch'.
Vier Schritte unter sich hörte er traumverlorenes Murmeln und leises Stöhnen. Auc h wenn er sich nicht umwenden konnte und im Dunkeln ohnehin nichts gesehen hätte, war er sich doch sicher, daß diese Laute aus dem Verlies der Gefährten aufstiegen, die dort unten in ihrem Erdloch schmachteten, offenbar noch immer nicht bei Bewußtsein. Sein Kopf schmerzte zum Zerspringen, zweifellos von den Rausch-und Betäubungsgiften, die ihm eingeflößt worden waren, erst der pilzige Schleim auf den Blättern in jenem Kriechgang, dann der Trunk und der benebelnde Qualm, der drinnen im Tempelsaal aufgestiegen war. Aber nicht einmal die dröhnenden Schmerzen in seinem Schädel vermochten das ekstatische Gefühl zu dämpfen, das noch immer in seinem Innern vibrierte.
Er hatte den schwarzen Steinquader erklommen, auf Geheiß des Chilam Balam und unter fortwährenden jagenden Trommelschlägen. Neben dem greisen obersten Priester hatte er sich auf das Jaguarfell gehockt, vor sich die heiligen Requisiten, die ihm zugeteilt worden waren, der beinerne Becher und der gezähnte Stachel aus Obsidian. Auch die jungen Jaguarpriester hatten sich allesamt auf den gewaltigen Kubus geschwungen, eine gedrängte Menge gescheckter, tierhaft riechender Leiber, die ihn selbst und den Chilam Balam umschlossen wie eine Mauer aus atmendem Fleisch. An seinen Armen, in seinem Rücken, an den gekreuzten Beinen, überall hatte er ihre Leiber gespürt, ihre Brüste und Schultern, die wie zum Sprung gespannten Schenkel, die heiße, vom Tanz noch schweißfeuchte Haut. Alles roch nach Blut, nie hatte er die Süße des Blutes intensiver empfunden als in diesem Kreis der Jaguarpriester, die ihr Blut weiter in die Becher strömen ließen. Wohin er auch blickte, überall sah er Hände, die den Stachel drehten oder die gezähnte Klinge führten, und das Blut plätscherte in die knöchernen Gefäße, während die Jaguarpriester leise stöhnten und sich wanden, wie in ekstatischer Absence.
»Ich cah Emal Kinich Ahau«, rief der Chilam Balam mit pfeifender Stimme, »vor dem Sturz des Sonnengottes, der zwanzig Katuns lang geherrscht hatte, als höchste Gottheit der Maya, sandten die Götter uns einen Boten, Ajb'isäj-ju'um d'ojis, dich.«
Noch weniger begreiflich als der Sinn dieser Worte, dachte Robert nun, indem er seine Füße in den Fesseln bewegte, war der Umstand, daß er sie überhaupt verstanden hatte, schließlich hatte der Chilam Balam nicht nur mit pfeifender Stimme gesprochen, sondern überdies in der Sprache der Maya. Zu diesem Zeitpunkt mußte er so sehr berauscht gewesen sein, durch die betäubenden Gifte und mehr noch durch die überwältigende Präsenz der Jaguarmenschen, daß er statt abgegrenzter Einzelheiten nur noch einen Wirrwarr unmäßig erregender Eindrücke wahrnahm. Er lauschte in sich hinein, und auf
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