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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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waren, mit lebenswarmem Blut.

9
     
    Was war dann geschehen? Auf dem Holzgitter liegend, die Arme seitlich ausgestreckt und an die schlanken Stämme gefesselt, lauschte Robert abermals in sich hinein. Seine Sinne hatten sich getrübt, je weiter das Ritual fortschritt, so daß er von dieser Etappe fast nur noch Schattenspiele, zerstückte Ausrufe, überwältigende Empfindungen erinnerte: ziehende Lust, aber auch Entsetzen, und immer wieder beides zusammen, in untrennbarer Vermischung, Schauder der Auflösung, Taumel des Traums.
    Hatte er nicht plötzlich auf dem Altar gelegen, rücklings, von seiner Tunika entblößt? Unruhe stieg in ihm auf, angstvolle Erregung. Die Jaguarpriester um mich herum, dachte er und sah sie schon vor sich: auf den Unterschenkeln kauernd, zu seinen beiden Seiten, immer abwechselnd eine Jaguarfrau, dann ein katzenleibiger Mann. Ihre Blicke auf mir, dachte er, ihre rechten Arme erhoben, über meiner Brust, meinen Beinen, die Becher in ihren Händen und die Trommel immer lauter, donnernd, immer rascher, tosend, und wie mir das Herz in der Brust schlug, als wollte es zerreißen, aus meinem Mund springen wie ein Frosch!
    »Zurückgekehrt, um deine Schuld zu tilgen und die Maya zu neuem Glanz zu führen!« Der Chilam Balam rief es, mit pfeifender Stimme, nun zu Roberts Füßen hockend. »O Götter der neunfaltigen Unterwelten, Bolontiku, wir danken dir!« Als er Bolontiku ausrief, richtete er sich auf den Unterschenkeln auf, so rasch, daß seine verschrumpften Brustsäcke emporschwangen, und die jungen Priesterinnen und Priester drehten ihre erhobenen Hände zur Seite, so daß das Blut aus zweimal neun Bechern auf Roberts Brust und Bauch, auf seine Lenden und Schenkel schwappte.
    Und dann, und dann? In qualvoller Anspannung spähte er in sich hinein. Aber wie er sich auch mühte, sein Gedächtnis gab bloß ein Durcheinander aus Gerüchen, Berührungen, aufwühlenden Gefühlen preis. Die Süße des Blutes, dachte er, überwältigend, in der Kehle würgend, seine warme, klebrige Nässe, überall auf meiner Haut. Sie alle tief zu mir herabgebeugt, ihre Jaguargesichter, gescheckten Schultern, und ihre rauhen Hände, die das Blut auf meiner Haut verreiben. Das Schmatzen des Blutes, als sie den Saft mit ihren Händen, mit den Unterarmen, selbst mit ihren Schultern und Wangen auf mir verteilen, und dazu ihr fauchender Atem und ihre heiseren Stimmen, die immer und immer dieselben Laute intonieren:
    »Ajk'ub' Maya'ib, nojochk'inb'il, Retter der Maya, wir preisen dich!«
    Hatte sich das alles wirklich so ereignet? Robert knirschte mit den Zähnen. Sein Triumphgefühl war verflogen, statt dessen krümmte er sich nun innerlich vor Scham. Es war ein Traum, versuchte er sich zu beruhigen, zumindest dieser Teil des Rituals hatte sich doch gewiß nicht wirklich, sondern nur in seinem aufgepeitschten Geist so abgespielt.
    Aber einen Zwischenfall hatte es schließlich doch noch gegeben, eine erschreckende Wendung, die ihn aus allen Träumen gerissen hatte.
    »Paxi cah Emal Kinich Ahau«, hatte der Chilam Balam ausgerufen, »nach dem Sturz des Sonnengottes, der zwanzig Katun über die Welt der Maya geherrscht hatte, stieg Cha'ac, der Gott des Regens und der Gewässer, zur mächtigsten Gottheit der Maya auf. In Kantunmak sammelten sich die Versprengten, die edelsten Priester und Krieger, in der Welt unter der Erde, wo auch der Schatz von Tayasal verborgen liegt.« Weiterhin salbten die Jaguarpriester ihn mit ihrem Blut, und der Uralte rief mit pfeifender Stimme: » Ajb'isäj-ju'um d'ojis , die Prophezeiung beginnt sich zu erfüllen! Sie lautet, daß du dereinst zurückkehren wirst, im neunten Katun nach dem Untergang Tayasals, das durch deine Schuld zerfiel. Zusammen mit den Priestern Cha'acs wirst du ein Heer von Mayakriegern aufstellen und an ihrer Spitze in die Schlacht ziehen, von Kantunmak aus, gegen die fahlhäutigen Invasoren. Es wird die gewaltigste Schlacht sein, die jemals geschlagen wurde«, rief der greise Priester, während achtzehn Hände, rauh und gescheckt wie Katzenpranken, über Roberts Leib fuhren und das Blut verrieben, »und an ihrem Ende wirst du, Gesandter der Götter, tödlich verwundet werden. Das Heer der Maya aber wird siegreich aus der Schlacht hervorgehen. Die weißen Eindringlinge werden noch am selben Tag über den großen See fliehen, mit ihren schwimmenden Häusern, die sie einst hierhergetragen haben, vor zweiundzwanzig Katun.«
    Robert hatte den Kopf im Liegen ein wenig erhoben, so

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