Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
faltigen Hals bedeckte, machten ihre kleinen Füße pochende Geräusche auf dem Holzfußboden. So laut, dass es ihm im Kopf wehtat.
Mit ihren winzigen Händen berührte sie ihn nur ganz vorsichtig und führte ihn zurück zu seinem Bett. Dort saß er nun und blickte blinzelnd um sich, während heftige Schmerzwellen aus dem Inneren seines Schädels gegen seine Augen drängten. Er glaubte schon, sich übergeben zu müssen. Vor seinen Augen erschienen silbrige kleine Punkte und sein Nacken versteifte sich. Dann musste er sich tatsächlich übergeben. Sein Magen zog sich zusammen und quetschte einige Tropfen einer ekligen Flüssigkeit aus seinem Mund. Die alte Frau murmelte etwas auf Schwedisch vor sich hin.
Während er noch Galle spuckte, spürte er, dass eine weitere Person in den Raum gekommen war. Als sie sprach, klang es in Lukes Ohren eher Norwegisch als Schwedisch. Er erkannte die Stimme des jungen Mannes, der die Schafsmaske getragen hatte.
Die Übelkeit verschwand wieder, und die Wände des Zimmers hörten auf sich zu drehen. Er schaute wieder zu der alten Frau. Ihr Gesicht war ausdruckslos, aber die kleinen schwarzen Augen funkelten in den Höhlen. Sie war so alt, dass die runzelige Haut ihres Gesichts ihn an Walnussschalen erinnerte. Das, was von den Augen zu sehen war, wirkte fremdartig und eindringlich. Es war unmöglich, sie länger anzusehen.
Ihre Lippen hatten sich in den Mund zurückgezogen, das Kinn war tief gefurcht und mit kleinen Haarbüscheln bewachsen. Das weiße Haar auf ihrem kleinen Kopf war sehr dicht, aber kurzgeschnitten. Es sah aus, als hätte sie es selbst mit einer Schere oder einem Messer gekürzt.
Beinahe hätte er laut losgelacht angesichts dieser irrwitzigen Erscheinung, aber ihre Fremdartigkeit machte ihm gleichzeitig so sehr zu schaffen, dass er stumm blieb. Ihre Haut war grau, an manchen Stellen auch gelblich wie bei einem gealterten Raucher. Sie konnte kaum größer als eins dreißig sein. Aus der Ferne musste sie eher wie ein Kind in einem altmodischen hochgeschlossenen Kleid wirken. Auch das war eine Feststellung, die ihm Unbehagen verursachte. Sie hatte sich eine Schürze umgebunden, die bis zum Boden reichte. Sie musste einmal weiß gewesen sein, war jetzt aber mit braunen Wasserflecken übersät.
»Ich komm nicht zu dir, wenn du kotzen musst«, sagte der grinsende junge Mann, der hinter der alten Frau stand. Er hatte das kindliche Spitzenkleid ausgezogen, und man sah, dass er sehr mager war. Nun trug er ein schwarzes T-Shirt, auf das der Name »Gorgoroth« und die Fotografie einer Gruppe von Männern gedruckt war, deren Gesichter von weißem, schwarzem und blutrotem Make-up entstellt wurden. Die rissige weiße Farbe auf
dem Gesicht des Jungen reichte nur bis knapp unter das Kinn. Sein Hals war nicht bemalt, aber sehr blass. Der Adamsapfel trat deutlich hervor. Er hielt ein Tablett in seinen feminin aussehenden Händen. »Keiner von uns kann was Vernünftiges kochen. Wir würden sogar Wasser anbrennen lassen. Aber ihr Essen ist in Ordnung. Wenn man jeden Tag Eintopf mag.«
Luke war nicht sicher, ob er lächeln oder Danke sagen sollte. Er wusste nicht, warum er hier war und wer diese Leute waren. Er sagte nichts.
Auf einem hölzernen Teller lag dunkles Gemüse, darüber war eine braune klumpige Sauce gegossen worden.
»Wir haben auch was zu trinken. Wir machen es selbst, deshalb ist es ziemlich stark. Äh, wie sagt man bei euch… Schwarzgebrannter … genau! Aber wahrscheinlich musst du kotzen, wenn du es heute trinkst. Also gebe ich dir lieber Wasser.«
Er stellte das Tablett aufs Bett. Luke sah sich die Tätowierungen auf seinen Armen an. Sie waren schwarz und zeigten irgendwelche Runen, um die sich Blätter rankten. Auf der Innenseite eines Unterarms war Thors Hammer zu sehen. Ein schlecht gezeichnetes umgedrehtes Kreuz verunstaltete einen seiner Handrücken. In seinem Gürtel steckte ein langer Dolch. Der schwarze Griff war aus Knochen gefertigt. Die Klinge hob sich glänzend von seiner dunklen Lederhose ab. Bei dem Anblick spürte Luke, wie sein Mund austrocknete.
»Bitte«, sagte er. »Mein Name ist Luke. Ich bin verletzt. Ich brauche … Bitte, holen Sie doch Hilfe für mich.«
Der Junge stand auf. »Luke, hm? Ich bin Fenris.« Er lächelte stolz. »Weißt du, was das bedeutet?«
Luke starrte ihn ausdruckslos an.
»Es bedeutet Wolf. Ha! Weil ich einem Wolf ähnle, verstehst du? Das haben schon viele Menschen festgestellt. Und der andere von uns, der heißt
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