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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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seinem langen Gesicht herab. Manische Augen, gelblich glühend und gleichzeitig schwarz vor tief empfundener Wut, traten aus knochigen Augenhöhlen hervor. Nach oben ragende Ohren, die nach vorn knickten, und irgendwie zerrissen aussahen. Zwei lange dicke Hauer hingen aus einem schmutzig-schwarzen Maul herab. Sie würden jede Beute blitzschnell tödlich durchbohren, wenn es so weit war.
    Luke schnappte nach Luft, hob kraftlos eine Hand und hielt sie schützend vor seine Kehle, als wollte er auf diese Weise die grauenhafte Bedrohung durch die hässlich vorstehenden Hauer abwehren. Der lange, mit haarigen Büscheln besetzte, fleckige und borstige Hals endete dort, wo zwei nackte milchige Schultern begannen, die in schwere Brüste übergingen, deren rosa Brustwarzen hart und deutlich abstanden.
    Voller Entsetzen musste Luke den Blick abwenden. Nun verlangte das Schaf nach seiner Aufmerksamkeit. Es schnaubte. Das erste Geräusch, das eine dieser Gestalten von sich gab. Er starrte in die durchdringenden blauen Augen dieses Tiers, bemerkte die rosigen Ränder und die ausgebleichten Wimpern. Es schien ihn mit einer unendlichen Traurigkeit anzuschauen, wie das Gesicht auf einer uralten Schwarz-Weiß-Fotografie. Verfilztes, im Laufe vieler Jahre gelblich verfärbtes Fell, das um den Kopf herum kurz geschnitten war, sich aber trotzdem wie das Haar eines menschlichen Kindes kräuselte. Oben auf dem Kopf saß ein Kranz welker Blumen, in den auch ein wenig Heidekraut mit eingeflochten war. Unterhalb des Mauls mit den kleinen eckigen Zähnen und dem schmalen Kinn hing ein spitzenbesetzter Kragen. Das Gewand aus brüchigem, fleckigem Stoff erinnerte gleichermaßen an ein Totenhemd wie an ein altmodisches
Taufkleid für ein kleines Mädchen. Aber die jugendliche Anmutung der Kleidung konnte Lukes Schock angesichts des Anblicks eines aufrecht stehenden Schafs am Fuße seines Bettes nicht mindern. Konnte ihn überhaupt nicht beruhigen, sondern machte im Gegenteil alles nur noch schlimmer.
    Verzweifelt versuchte er, diesen surrealen Horror, der sich da vor ihm aufbaute, zu verstehen, aber in der Kakophonie der brüllend lauten Musik war es ihm unmöglich, sich zu bewegen oder zu sprechen oder auch nur klar zu denken. Und seine Besucher standen einfach nur still da wie Schaufensterpuppen, starrten ihn aus unheimlich hell strahlenden Augen an und bewegten sich nicht, als würden sie eine Reaktion von ihm erwarten: ein Wort, einen Schrei, irgendeine schwache abwehrende Geste.
    Auf einmal drehte sich der mächtige schwarze Kopf der Ziege zu dem Schaf, und irgendetwas wurde zwischen ihnen ausgetauscht. Das Schaf ging zur Seite, sein rosafarbenes, innen behaartes Ohr kam in Lukes Blickfeld, und dann hockte es sich auf den Boden, sodass er es nicht mehr sehen konnte. Ein weißer menschlicher Arm schoss aus dem fleckigen Kleid, mädchenhaft blass, aber oberhalb des Handgelenks mit schwarzen gezackten Tätowierungen übersät. Die Musik hörte schlagartig auf und ging in eine unheimliche Stille über.
    Luke setzte sich auf, lehnte sich gegen das Kopfende seines Kastenbetts und zog die Beine an. Sein Schock ließ allmählich nach, aber nur ein bisschen. Als er sich bewegte, brachte er die schmutzigen Schaffelle und das uralte Heu durcheinander, mit dem sein Bettkasten gefüllt war.
    Wieso liege ich nicht in einem Krankenhausbett? Und er fragte sich ebenfalls, ob diese zweite unangenehme Begegnung mit einer schwarzen Ziege womöglich noch eine Sicherung in seinem Kopf hatte durchbrennen lassen. Jene Sicherung, ohne die er für den Rest seines Lebens in Panik und Todesangst verbringen würde.

    Die Ziege hob zwei menschliche Hände mit langgliedrigen Fingern. Das war das erste Erfreuliche, das Luke an dieser Kreatur bemerkte, denn er hatte eigentlich Hufe erwartet.
    Schmutzige Fingernägel packten die haarigen Seiten des Ziegenkopfes, hoben ihn nach oben, und die Maske gab ein Gesicht frei, das Luke lieber nicht gesehen hätte.
    Das Gesicht war mit einer hellen Schminkfarbe beschmiert. Alles war weiß, bis auf die schwarzen Linien, die über die Stirn gezogen waren und auf jeder Seite des mürrischen Gesichts herabliefen. Die Augen waren mit ziemlich dick aufgetragenem schwarzen Make-up so geschminkt, dass sie besonders tief in den Augenhöhlen zu liegen schienen. Auch die Lippen waren schwarz angemalt, aber durch die Wärme unter der Maske und den Schweiß war ein Großteil des obszönen breiten Munds verschmiert. Das Gesicht grinste Luke

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