Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
Und hier muss man aufwachen und sich dem ganz anderen stellen … dies ist das Herrschaftsgebiet einer Macht, die viel älter und viel größer ist als wir, Luke. Das ist alles.«
Und zum ersten Mal hörte er die Stimme der alten Frau: »Det som en gang givits ar forsvunnet, det kommer att atertas.«
Loki und Fenris hielten inne und drehten sich zu ihr um. Luke schaute in ihr runzeliges, mitleidloses Gesicht. Ein paar graue schmale Zähne waren in ihrem lippenlosen Mund zu erkennen. »Det som en gang givits ar forsvunnet, det kommer att atertas«, wiederholte sie, als stellte sie ganz einfach eine Tatsache fest. Ihre Stimme klang brüchig, so alt war sie schon, aber sie war auf eine eigenartige Art melodiös.
Loki hockte sich hin, warf sich das Haar über die Schulter wie einen Vorhang und wandte sein dilettantisch geschminktes Gesicht Luke zu. »Sie sagte, dass das, was einst gegeben wurde, verloren gegangen ist. Und dass einer kommen wird, um es zurückzuholen. «
Luke sprang auf. Vor seinen Augen hüpften der Horizont und der Wald auf und ab, und er rannte auf seinen steifen, ungelenken Beinen. Rannte und rannte, um von allem wegzukommen.
Er lief an der Vorderseite des Hauses entlang und bog um die Ecke. Zu seiner Rechten erhob sich die dunkle Wand des alten Hauses, auf der linken Seite breitete sich das endlose Blättergewirr des Waldes aus. Hinter dem Gebäude stand ein weißer Pick-up mit schlammbespritzten Kotflügeln, der vor einem überwucherten Obstgarten mit planlos angepflanzten Bäumen parkte. An einigen Ästen hingen schwere dunkelgrüne Äpfel. Eine schmale grasbewachsene Spur, die von den Reifen des Pick-ups in den Boden eingegraben worden war, führte an der kläglichen Ansammlung der Obstbäume vorbei und verschwand dann hinter einer Biegung.
Hinter sich hörte er Stimmen. Fenris schrie laut auf, dann brach er in ein Lachen aus, das wie das Bellen eines Schakals klang. Loki gab unaufgeregt und bedächtig einige Befehle.
Luke sah über die Schulter zurück. Das Mädchen rannte hinter ihm her. Plump und unbeholfen, mit ihren kurzen Beinen, die in schwarzen Jeans steckten. Ihre schweren Brüste wogten in einem zu weiten, bedruckten Kapuzenpulli auf und ab. Ihre nackten weißen Füße patschten über den Boden, ihr rundes Gesicht war völlig aufgeregt.
Instinktiv lief Luke auf den Weg zu, der vom Haus fortführte. Dort war der Untergrund nicht so uneben wie im Wald. Später konnte er immer noch in das Unterholz des Waldes flüchten, sich irgendwo fallen lassen und in einem Versteck am Boden ausharren. Der Gedanke trieb ihn weiter, die Anspannung war bis in seinen Schädel zu spüren. Bei jedem Fehltritt spürte er Schmerzen im Rückgrat und die Wunde an seinem Kopf schien weiter aufzubrechen. Diese Schädelverletzung, an die er erst glauben wollte, wenn er sich irgendwann durch einen Blick in den Spiegel davon überzeugt hatte. Dass er nicht in der Lage war, seine Arme zu schwingen, machte ihn deutlich langsamer.
Mit weit aufgerissenen Augen und zusammengebissenen Zähnen nahm jetzt auch Fenris die Verfolgung auf, kam um den Pick-up herum und rannte die Schattenseite des Hauses entlang. Offenbar wollte er ihm den Weg abschneiden, bevor er die Fahrspur erreichte. Ein fettes Mädchen und ein geistig verwirrter Teenager, deren Gesichter wie die von Leichen oder Dämonen aussahen, rannten hinter ihm her und versuchten, ihn einzufangen.
Luke zerrte an seinen Handfesseln. Eine ungeheuere Wut, gespeist von dem Gefühl totaler Ohnmacht, wogte in ihm. Sogar mit seinen schweren großen Stiefeln war Fenris noch ziemlich schnell. Er würde ihn garantiert einholen.
Luke hielt an und drehte sich um. Er überlegt, ob er ihn treten
sollte, am besten mit der Ferse. Aber dann wurde er von dem Mädchen abgelenkt, das von der Seite her auf ihn zukam. Mit aufgeblasenen Backen, wippenden Brüsten und geballten Fäusten, die Augen weit aufgerissen, schrie sie mit hoher kreischender Stimme.
Fenris kam näher. Er grinste breit, tänzelte zur Seite, dann wieder zurück. Schrie etwas Unartikuliertes, das wohl eine Art Triumphgeheul darstellen sollte.
Einen Augenblick konnte Luke sich nicht entscheiden. Dann wandte er sich dem Mädchen zu. Sie war schon fast bei ihm angelangt. Mit aller Kraft, die ihm noch verblieben war, trat er seiner nahenden Verfolgerin in den Unterleib.
Ihr Schwung warf ihn nach hinten. Auf ihrem Gesicht zeichneten sich Überraschung und Angst vor dem Schmerz ab, dann klappte sie zusammen. Luke
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