Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
Fensters zu treten, diesen kleinen in den unendlichen Ozean der Bäume eingesetzten Raum, den flachen hellen Kreis, der wie eine völlig andere Welt
wirkte, bedeckt von einer pelzartigen, kurzgeschorenen Fläche aus silbrig glänzendem Gras. Er fühlte sich geradezu euphorisch bei diesem Anblick, erfüllt von einer verrückten Fröhlichkeit, aber er wusste auch, dass es sehr schwierig sein würde, hinauszukommen aus diesem Kreis, der von aufrecht stehenden Steinen begrenzt wurde, selbst wenn er es wagte hinunterzugehen. Dort unten würde er immer wieder im Kreis gehen, vor dem gähnenden Eingang einer dunklen steinigen Kammer, und dabei in den hellen Himmel schauen. Das hatte er vorher auch schon getan. Oder etwa nicht? Da war er sich gar nicht mehr so sicher.
Und in den Wipfeln tollten diese Gestalten herum. Es waren Kinder. Es waren Engel. Tränen schossen ihm in die Augen. Sie tanzten. Oder sie schlichen am Rand der Lichtung entlang. Vielleicht waren diese hüpfenden Bewegungen, die sie vollführten, bevor sie sich auf alle viere fallen ließen, auch eine Kombination aus Tanzen und Schleichen. Manchmal erhoben sie sich auf die Hinterbeine und winkten oder reckten ihre dünnen weißen Ärmchen zum Himmel.
Es war nicht leicht, diese kleinen weißen Figuren genauer zu betrachten, weil sie immer wieder ganz plötzlich mit ihren blassen Körpern im Schatten des Waldes verschwanden. Sie standen niemals für längere Zeit still, huschten ständig umher. Aber je länger er hinschaute, desto deutlicher sah er ihre rosafarbenen Augen und ihre biegsamen Schwänze, die blutrot waren und an Würmer erinnerten, aber schon wieder aus seinem Blick gerieten, wenn sie in der endlosen Dunkelheit unter den Baumwipfeln verschwanden.
Trotz des geschlossenen Fensters bemühte er sich, ihre Stimmen zu hören, als sie ihm etwas zuriefen. Sie forderten ihn auf, zu ihnen herunterzukommen, an den schwarzen Steinen entlangzulaufen, unter dem hellen Glanz des weißlichen Himmels. Aber dann kamen ihm diese Laute eher wie Bellen oder wie ein Husten vor und gar nicht wie Stimmen, die nach ihm riefen.
Und er war sich auch gar nicht mehr sicher, ob Kinder derart breite gelbe Zähne in ihren weit aufgerissenen Mündern haben sollten. Und sie hielten Knochen in ihren kleinen Fäusten. Lange Knochen von menschlichen Armen und Beinen.
Dann erkannte er, dass sie diese Knochen in die Steinkammer legten. Das war die Kammer, in die er gehen würde, um auf jemanden zu warten. Auf jemanden, der von dort draußen kam. Von sehr weit her aus der Tiefe des schwarzen Waldes näherte sich etwas.
Die dünnen Stimmchen hinter ihm verstummten, und das Herumwuseln der kleinen Füße auf dem Holzfußboden hörte auf.
Und plötzlich befand er sich in dem alten Steingemäuer, in dieser uralten Kammer, die von den aufrecht gestellten Felsen gebildet wurde, und er konnte den beißenden erdigen Geruch des Fußbodens riechen. Und dann bemerkte er in dem dünnen Licht, das hereindrang, die Gebeine. Unglaublich viele Knochen. Sie waren über den ganzen Boden verteilt. Manche glänzten noch immer feucht und dunkel. Überall zwischen den Steinen lagen Knochen herum.
Er schreckte aus dem Schlaf und schrie: »Nicht da rein! Nicht da rein! Bitte!«
Aber die drei Gestalten, die sich um sein Bett versammelt hatten, fassten alle zur gleichen Zeit nach ihm. Kreidebleiche Gesichter, durch die sich schwarze Linien wie feine Risse zogen, näherten sich.
Fenris grinste böse. Das Weiße in seinen Augen trat ungewöhnlich stark hervor und wirkte inmitten der schwarz umrahmten Höhlen umso bedrohlicher. »Wir haben deinen Freund gefunden, Luke. Komm mit, wir zeigen ihn dir.« Sein Mund war zu rot, wo er nicht mit dem schwarzen Lippenstift bemalt war, seine Zunge zu deutlich zu erkennen, und seine Zähne waren zu gelb.
Loki packte ihn mit seinen riesigen Händen und legte seine Unterarme zusammen. Luke versuchte, seine Hände wieder auseinanderzubekommen, aber Surtr war schon dabei, sie mit einer Nylonschnur zusammenzubinden. Offenbar hatte sie die Schnur schon um seine Handgelenke geschlungen, als er noch geschlafen hatte. Jetzt zog sie daran, und die Schlinge wurde enger. Sie schnitt in sein Fleisch ein, das sich violett verfärbte. Es tat sehr weh.
Er wurde in eine sitzende Position gebracht. Fenris zog die Decke von seinen Beinen. Er spürte die kalte Luft auf seiner Haut und merkte, wie unbeholfen und zerbrechlich sein Körper war. Er schämte sich für seinen
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