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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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Äste unter den Haufen. Neben ihr stand ein Plastikkanister mit Benzin. In der Nähe des Scheiterhaufens war ein Loch ausgehoben worden. Es diente als Halterung für das große Kreuz, das sie notdürftig aus zwei dicken Brettern gezimmert hatten.
    Fenris und Loki führten gerade das obere Ende des Kreuzes in dieses Loch ein. Es sollte offenbar verkehrt herum aufgestellt werden.
    Fenris rief Surtr etwas zu, die ihn mit ihrem hässlich geschminkten Gesicht anlächelte. Um die Nase und den Mund herum hatte sie noch mehr Blut gemalt als sonst. Sie war jetzt wieder nackt, und ihr langes schwarzes Haar fiel offen auf die blassen Schultern. Sie hob eine silberne Digitalkamera aus dem Gras und ging ein paar Schritte zur Seite, um ein paar Fotos von Loki und Fenris zu machen, die neben dem umgedrehten Kreuz posierten. Es wirkte alles so, als würden sie es nur als Spiel ansehen. Dass ihnen jeder Anflug von Feierlichkeit angesichts seiner Opferung fehlte, machte Luke absurderweise wahnsinnig wütend.
    Und dann fühlte er sich beim Anblick dieses einsamen Kreuzes, das da irgendwie jämmerlich in den wolkenverhangenen dunklen Himmel ragte, mit einem Mal so unendlich verloren, dass er zu Boden sackte und im Sitzen wie in Trance den Oberkörper vor und zurück wiegte.

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    Als sie kamen, um ihn zu holen, war er bis auf die Fesseln an den Hand- und Fußgelenken vollkommen nackt. Sie waren betrunken und ungeschickt und völlig abgestumpft.
    Er leistete keinen Widerstand, als Loki und Fenris ihn durch den schmalen Flur zerrten und dann die wackelige Treppe hinunter ins Erdgeschoss trugen, weil er nicht wollte, dass sie ihn fallen ließen. Die Vorstellung auf den harten Holzboden zu prallen, womöglich gegen eine Ecke oder Kante zu stoßen, ohne sich mit den Händen abstützen zu können, machte ihn nervös.
    Aber dann, als sie ihn nach draußen schleppten, in die kalte feuchte Luft unter dem niedrigen grauen Himmel, der immer dunkler wurde, begann er sich aufzulehnen. Hier auf der kleinen Lichtung, im spitzwinkligen Schatten dieses düsteren alten Hauses, entriss er seine Beine aus dem Griff von Fenris, der ihn wie eine schwere Teppichrolle unter dem Arm getragen hatte. Dann drehte sich Luke in Lokis langen, weißen Armen und fiel mit dem Gesicht nach unten in das feuchte Gras.
    Er fing den Fall mit seinen Knien ab, versuchte sich aufzurichten, verlor das Gleichgewicht und stürzte zur Seite. Er blieb im kalten nassen Gras liegen und überlegte, was er jetzt tun sollte.
    Fenris lachte laut auf, seine dünne Stimme verlor sich in der Dämmerung.

    »Wo willst du denn hin, Luke?«, fragte Loki keuchend, aber durchaus mitfühlend.
    Das große Feuer knisterte und knackte, die orangefarbenen Flammen schlugen hoch in den Himmel. Ein Funkenregen und aufgewirbelte alte Blätter flogen aufglimmend umher und verglühten.
    Die Musik dröhnte brutal laut. Sie wurde gedämpft durch den Erdboden, aber ihr kakophones Gedröhne ergoss sich wummernd und krachend über die kleine Lichtung und hinein in den kalten dunklen Wald, damit alles, das hier auf dieser verfluchten schwarzen Erdscholle lebte, mitbekam, dass man es heute Nacht mit »Blood Frenzy« zu tun hatte.
    Das Gewehr lehnte an dem Geländer der Veranda, vielleicht zur Sicherheit, falls Odin sich versehentlich statt des Opfers einen der Auserwählten schnappen wollte. Auf der Veranda saß die alte Frau auf einem alten Holzstuhl im Schatten und beobachtete Luke. Ihre schwarzen Augen glühten im Glanz des tosenden Feuers, dessen Lichtschein auf ihrem ausdruckslosen Gesicht flackerte.
    Wenn sie ihn an dieses Kreuz hängen wollten, mussten sie vorher die Nylonfesseln an seinen Gelenken zerschneiden. Das wäre dann seine letzte Chance. Er holte so tief Luft wie nur möglich und erschauerte bis auf die Knochen. Er versuchte, nicht zu urinieren, wollte nicht, dass es ihm die Beine hinablief, aber er konnte sich nicht beherrschen und spürte, wie die warme Flüssigkeit an ihm herunterrann, als wäre es das pure Leben, das ihn nun verließ.
    Das dunkle Kreuz sah dünn und zerbrechlich aus. Er fragte sich, ob es überhaupt sein Gewicht halten konnte, und stellte sich vor, wie absurd und banal es wäre, wenn er dort hinge und auf den Tod wartete, während das Kreuz sich unter seinem Gewicht langsam neigte und umkippte.
    »O Gott«, murmelte er vor sich hin und konnte nicht anders
als einen lauten Schreckensschrei auszustoßen, während er sich ausmalte, wie die langen Nägel durch seine Handflächen

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