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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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und hatte das Gefühl, sich mit einem Mal von seinem Körper zu lösen. Trotz seiner wachsenden Ehrfurcht und dem immer tieferen Verständnis für das Geheimnisvolle und Schreckliche, das hier um ihn herum existierte, hatte er das Gefühl, dass dies alles nicht mehr in die Welt hineingehörte. Das Außergewöhnlichste daran war, dass es so unglaublich lange überdauert hatte. Aber seine Herrschaft war längst vorbei, es gehörte gewissermaßen zu einer aussterbenden Spezies. Es handelte sich um nichts weiter als einen völlig vereinsamten Gott, an den sich so gut wie niemand mehr erinnerte. Ein Gott, der durch das Kreuz der Christen in seine Schranken verwiesen worden war, dessen Götzendienste längst der Vergangenheit angehörten und der nur noch von falschen Propheten und selbst ernannten Priestern angebetet wurde.
    Irgendwann, nachdem die Dämmerung hereingebrochen war, ebbten die Wellen der an Irrsinn grenzenden Todesangst ab und wichen aus seinem gepeinigten Bewusstsein. Nun hatte er das Gefühl mit sich im Reinen zu sein. Jetzt dauert es nicht mehr lang.
    Die alte Frau stand vom Bett auf. Die Schritte ihrer kleinen Füße waren deutlich auf dem alten Holzfußboden zu hören. Sie nahm von dem Schrank neben dem Bett etwas, das er für
ein Handtuch gehalten hatte, als sie es dort abgelegt hatte. Jetzt erkannte er, dass es eine Art Kittel war. Ein weißes Gewand, aufwändig bestickt mit silbernen Bändern am Kragen, aber von der Gürtellinie bis zum Saum grässlich verschmutzt. Es war schon sehr oft gewaschen worden, die Flecken waren ausgeblichen, sie waren nicht mehr wegzukriegen. Das alte Gewebe war steif geworden und dunkel verfärbt von dem vielen Blut, das es aufgesogen hatte. Sie legte es sorgfältig über den Fußteil des Bettes.
    In Mexiko hatten sie einst den Menschen das Herz ausgerissen, um sie dem Sonnengott zu opfern. Im alten England wurden Leibeigene rituell erwürgt und dann zusammen mit ihren Herren begraben. Einfache Menschen, die man der Hexerei beschuldigte, waren unter Steinbrocken zerquetscht und auf Scheiterhaufen verbrannt worden. Pendler wurden in der U-Bahn von Tokio vergast. Passagiere in modernen Düsenflugzeugen wurden geopfert, indem man sie gegen Hochhäuser steuerte. Wenn wir uns doch alle erheben könnten. Wir alle, die wir die Opfer von Göttern sind, denen irgendwelche Verrückte dienen. Wir wären ungeheuer viele.
    Dann hob die alte Frau mit einem Seufzer der Hingabe einen Kranz getrockneter Blumen hoch, den sie auf den Tisch neben dem Bett gelegt hatte. Er würde ihn wie eine Krone tragen, wenn er sterben sollte.
    Was einmal gegeben worden war, würde wieder gegeben werden. Und jemand würde kommen, um es sich zu holen.
    Draußen vor seinem Fenster schrien Fenris und Loki sich an. Ihre Stimmen klangen angespannt, als würden sie sich besonders stark anstrengen. Und dann begann die Musik wieder zu dröhnen, und er konnte ihre Stimmen nicht mehr hören.
    Die alte Frau nahm das Gewand und den Kranz und beugte sich über ihn. Dann hob sie einen ihrer krummen, knorrigen Finger an die Lippen und bat ihn still zu sein, obwohl er das ja schon war.

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    Nachdem sie gegangen war und das Tablett mit dem Teller und dem Krug und auch das Gewand und den Kranz mitgenommen hatte, schob Luke seine Beine über den Rand des Bettes. Vorsichtig setzte er die Füße auf den Boden und richtete sich auf. Eine Weile stand er da, die Waden gegen den Bettrand gestützt, bis er sicher war, dass er das Gleichgewicht halten und sich bewegen konnte, obwohl er an den Fußgelenken gefesselt war.
    Doch es ging nicht. Als er versuchte, nach vorn zu hüpfen, stürzte er zu Boden und prallte auf seine Schulter. Er fluchte und schimpfte vor sich hin. Dann blieb er ruhig auf dem schmutzigen Holzfußboden liegen und wartete, bis sein Schweißausbruch nachließ. Er horchte, ob jemand die alte Holztreppe hinaufeilte, um nachzusehen, was passiert war.
    Aber es kam niemand. Er bewegte seine Zehen. Sie wurden noch nicht abgeschnitten. Er grinste finster.
    Auf der Seite liegend und völlig nackt schlängelte er sich zum Fenster. Dann ging er in die Hocke, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und schob sich nach oben. Schließlich stand er aufrecht, drehte sich vorsichtig um und spähte hinaus.
    Die Bandmitglieder waren nicht untätig gewesen. Sie hatten einen zweiten Scheiterhaufen errichtet, ungefähr sieben Meter vom Waldrand entfernt und diesmal ein ganzes Stück weiter
vom Haus weg. Surtr steckte gerade weitere

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