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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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am blutbefleckten Gewand vorbei und sah über seinen schmutzigen Füßen den endlosen schwarzen Himmel. Er ließ seinen Kopf zurück gegen den Holzbalken fallen und glotzte das Gras an, das dicht neben seinem Kopf wuchs. Er sah die genieteten Stiefel vor seinem Gesicht. Das Blut stieg ihm in den Kopf. Und nun schoben sie ihm den kratzigen, stacheligen Blumenkranz über den Kopf, seine Märtyrerkrone aus welken Blüten.

    Dann begannen sie laut zu schreien. Sangen ihre unverständlichen schrillen Texte. Tranken den Schnaps aus ihren Trinkhörnern. Warfen die Arme in die Höhe, dem Himmel entgegen, den er zwischen seinen gefesselten Füßen sehen konnte.
    »Du wirst am Kreuz sterben, du falscher Messias! Das ist einfach zu großartig, du kleiner beschissener Jesus!«, kreischte Fenris ihm ins Gesicht.
    Lukes Gesicht verzog sich unwillkürlich. Einen Moment lang glaubte er, er könnte sich von diesem verdammten Kreuz losreißen. Dann hielt er inne, versuchte es erneut. Seine verzweifelten Anstrengungen waren völlig nutzlos. Er begann zu schluchzen. Dann schrie er auf, drehte völlig durch, kannte keine Grenzen mehr, als würde alles, was ihn noch hemmte, verpuffen und nur noch schwarze und rote Blitze seinen Körper durchzucken, während er brüllte wie ein Geisteskranker. Das war gut so, denn er wollte nicht mehr denken, er wollte nicht mehr vernünftig sein, er wollte seine Situation nicht mehr verstehen und wollte sich nicht ausmalen, was da gleich aus dem Wald kam, um ihn zu holen, während er hilflos kopfüber an diesem Kreuz hing.
    »Eure Band ist total scheiße!«, schrie er ihnen entgegen. Gleichzeitig brach er in irres Gelächter aus. »Ihr habt überhaupt kein Talent, ihr Versager!« Ein Teil des verschluckten Alkohols lief durch die Kehle zurück in seinen Mund und brannte wie Säure. Er spuckte ihn aus, spuckte sie an.
    Die Welt um ihn herum stand Kopf, alles schien durcheinander zu wirbeln. Das Feuer fiel in den Himmel. Die Bäume klammerten sich mit ihren Wurzeln an die Erde, um nicht in das unendlich weite Dach der Finsternis zu stürzen. Er fühlte sich, als würde er über einem gigantischen schwarzen Ozean schweben und in allen Himmelsrichtungen kein Land erkennen. Gleich würde man ihn fallen lassen. Wenn sie ihn jetzt losmachten, dann würde er direkt in den Himmel stürzen.
    Fenris versuchte, noch lauter zu schreien als er. Er nervte Fenris,
das wusste er. Dieser dünne dumme Junge namens Fenris hatte noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen, und er mochte es gar nicht, wenn seine Opfer Widerstand leisteten.
    »He, Surtr«, rief Luke der aufgeregten Gestalt zu, die mit ihrer lächerlichen Fratze um das Feuer herumhüpfte. »Ich bin bald tot, aber du bist dann immer noch fett und hässlich. Du siehst aus wie eine beschissene alte Kröte, du fette Sau. Und deine Fotze stinkt so übel, wie ich es noch nie gerochen habe!« Er brüllte sich heiser.
    Loki musste Fenris festhalten, der mit seiner weißen Fratze aussah wie ein bei einem Tierversuch wahnsinnig gewordener Bonobo.
    Luke schrie in den Himmel, zur Erde, in die endlose Reihe der Bäume. Er wollte völlig durchgedreht sein und nur noch herumbrüllen, wenn dieses Ding aus dem Wald kam und schnell und flink auf ihn zustürzte. »Komm schon, du stinkendes Mistvieh! Komm doch!« Mit der letzten Kraft würde er diesem Drecksmonster in die Fresse beißen.
    Bald schon merkte er, wie er begann, das Bewusstsein zu verlieren, sein Kopf fühlte sich geschwollen an, heiß und prickelnd.
    Loki rief der alten Frau etwas zu. Er war wütend auf sie. Sie kümmerte sich nicht weiter darum, sondern saß einfach nur schweigend auf ihrem kleinen Stuhl. Loki ließ Fenris los, der über die Veranda stolperte und auf die kleine alte Frau zeigte. Auch er brüllte sie jetzt an, ballte die Fäuste und schüttelte sie zornig. Loki hob flehend die Hände. Dann schrie er Fenris etwas zu, und der drehte sich zu ihm um. Irgendetwas war zwischen ihnen. Dann gesellte Surtr sich zu ihnen und schrie ihrerseits Fenris an.
    Die alte Frau stand auf und verließ die Veranda. Sie ging ins Haus zurück und schloss die Tür hinter sich. Ließ sie einfach draußen stehen. Sollten sie sich doch streiten. Und Luke hing noch immer kopfüber am Kreuz.

    Irgendwann wurden ihre Stimmen leiser. Loki murmelte etwas zu Surtr, die feierlich zu dem CD-Player lief und die Musik ausschaltete. Nicht mal das Feuer schien noch richtig gut zu brennen. Sie standen bloß noch draußen in der feuchten Nacht und

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