Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
Lippen. Dann hielt sie seinen Hinterkopf fest und ließ ihn schmatzen und schlabbern, während er versuchte, das Wurzelgemüse zu kauen und herunterzuschlucken. Auf die Schnittwunden in seinem Gesicht und unter seinem Haar schmierte sie eine schwarze Paste, die nach Regen und Moos roch.
Ihre Augen waren wie zwei schwarz schimmernde Feuersteine, die ihn aus den Tiefen ihres unglaublich verrunzelten Gesichts anblickten. Sie schienen die ganze Zeit zu lächeln, während sie sich an seinem geschundenen Körper zu schaffen machte, der an das stinkende Kastenbett gefesselt war. Es war
durchaus ein warmes Lächeln. Es war ehrlich, jedenfalls kam es ihm so vor. Vielleicht hegte sie für ihn nicht mehr Sympathie als für ihr Lieblingshuhn oder ein Lämmchen oder Ferkel, aber immerhin nahm sie ihn als ein lebendiges Wesen wahr und brachte ihm ein wenig Mitleid entgegen. Er war wichtig, er hatte einen Wert, aber letztlich natürlich nur, um den Bluthunger einer viel älteren Kreatur zu stillen.
Möglicherweise dachte sie an die guten alten Zeiten, während sie seinen Körper säuberte, als handelte es sich um eine Leiche aus ihrer Familie. Vielleicht hatten früher ja andere alte Frauen mit ihren sanften Händen so wie sie die Leichen ihrer Angehörigen gewaschen und angekleidet. Sie lebte mit den Toten. Gut möglich, dass sie ihr Handwerk von den noch immer nicht ganz toten, zu staubigen Pergamentpuppen vertrockneten Vorfahren oben auf dem Dachboden gelernt hatte. Es konnte auch sein, dass sie schon andere Unglücksraben vorbereitet hatte, um sie dann diesem mächtigen unnatürlichen Monstrum zu opfern, das in diesem schwarzen Wald hauste. Ja, zu opfern.
Er begann, hastig zu atmen. Nun erinnerte er sich an den anderen Dachboden in der Hütte im Wald, und mit der Erinnerung stand auch wieder das Bild dieses länglichen, feuchtschwarzen Gesichts mit der nass glänzenden rosa Schnauze vor seinen Augen. Er sah wieder diese abgenutzten, aber kräftigen Hörner mit den Ausmaßen von Schwertern vor sich. Wie lange ließ einen dieses Ding dort draußen in der feucht triefenden Dunkelheit am Leben? »Jesus. Jesus Christus. Bitte«, stieß er hervor und versuchte sich aufzusetzen.
Sie trat näher, hielt ihn fest und strich ihm über die Stirn wie einem Kind, das einen Alptraum gehabt hatte.
Er schluckte den Panikanfall hinunter. Er war froh, dass sie ihn berührte und mit sanften Worten tröstete, auch wenn er sie nicht verstehen konnte. Ihr kleiner Körper unter dem schwarzen Kleid, das bis zu ihrem faltigen Hals reichte, war kräftig und
hart. Dennoch war er froh, sich an ihrem Busen ausweinen zu können.
Die Knochen von Menschen und Tieren, die Skelette in verlassenen Hütten, die vergessenen Kultstätten, all das, was er im Wald gesehen hatte, verband ihn nun mit ihr. Er war lebendig und voller Lebenskraft hergekommen, aber nun würde er sich seinem Schicksal ergeben. Es gab keinen anderen Ort mehr auf dieser Welt, zu dem er gehörte. Das war vorbei.
In diesem Wald, in dem uralte Steine standen, deren Runenbotschaften niemand mehr entschlüsseln konnte, in dieser abgeschlossenen lichtlosen Welt verfolgte irgendein Ding seine ganz eigenen Ziele, die zu alt waren, als dass irgendein Mensch sich an ihren Ursprung oder Sinn erinnern könnte. Er hatte es gespürt, er hatte versucht, ihm zu entkommen, aber die alten Mächte hatten ihn überwältigt. Und allein schon der Gedanke an dieses Ding ließ ihm den Atem stocken und das Blut in den Adern gerinnen.
»O Gott, o Gott.«
Sie lächelte. Sie schien genau zu wissen, was ihn beschäftigte und welches schreckliche Ereignis er sich ausmalte, während er mit seinem malträtierten Körper hilflos dalag und sein gemartertes Hirn sich immer wieder die erlittenen und noch kommenden Folterqualen vor Augen führte, hier auf diesem uralten schmuddeligen Bett aus Fellen und stinkendem Heu.
Der furchtbare Fluch, der auf diesem Ort lag, verlangte eine Erneuerung der alten Riten. Weil hier noch immer vorzeitliche Mächte existierten. Hier. Mächte, die Namen trugen, die ihnen vor einer halben Ewigkeit gegeben worden waren, und die zurückkamen, wenn man sie damit rief. Und heute Nacht würde dieses Ding extra für ihn gerufen werden. Sein Leben in der fernen Zivilisation, ja die ganze ferne Zivilisation, bedeutete hier überhaupt nichts. Rein gar nichts. So lagen die Dinge nun also für ihn.
Eine ruhige Stimme meldete sich in seinem Kopf zu Wort
und ermahnte ihn, nicht an das zu denken, was
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