Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
getrieben wurden von Fenris, der mit seinen tätowierten Händen den Hammer schwang.
Aber neben dem Kreuz sah er jetzt einige aufgewickelte Seile liegen, so dünn wie eine Wäscheleine, und hoffte inständig, dass sie ihn damit am Kreuz festschnüren wollten.
Vor dem Hintergrund dieser immer dunkler werdenden Wand aus von Wurzeln und Farnen umwucherten Baumstämmen, wirkte das umgedrehte Kreuz jetzt einfach zu düster, fast schon wie eine Parodie. Als hätte man es aus einem schlechten No-Budget-Horrorfilm genommen, in dem eine Horde unbegabter Schauspieler mit dilettantisch geschminkten Gesichtern ihr Unwesen trieben. Es war nicht gerade ein aufregender Anblick, eher sah es hier aus wie an einem Ort, der unverdientermaßen einen eigenartigen Kultstatus erlangt hat und all jene enttäuscht, die extra dafür herkommen. Was für eine Art zu sterben. Eigentlich sollte es sensationell wirken, aber stattdessen sah alles nur schäbig und deprimierend aus.
»Ach komm, Luke. Du kannst nirgendwohin abhauen«, sagte Loki, dessen Atem sich jetzt wieder normalisierte. »Wir lassen deine Füße gefesselt. Du kannst also nicht weglaufen vor dem, was dich hier erwartet. Falls du dich allzu sehr sträubst, müssen wir dich … äh …«
»Dann schlagen wir dir den Schädel ein«, kreischte Fenris auf.
»So ungefähr«, stimmte Loki zu. »Aber wenigstens kann ich dir einen letzten Schluck anbieten, mein Freund.«
Loki zog das Trinkhorn aus seinem Nietengurt und kippte den Inhalt über sein Gesicht. Luke schluckte gierig die chemisch schmeckende säuerliche Substanz, die in seinem Mund, in der Kehle und im Magen brannte. Er drehte den Kopf, um nichts von der Flüssigkeit zu vergeuden. Dann aber hatte er das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Die erhoffte Wärme würde sich wohl
doch nicht in seinem Körper ausbreiten. Gleichzeitig spürte er, wie ihm schwindelig wurde. Als wäre dies der erste Alkohol, den er jemals getrunken hatte. Es war reiner Alkohol, versetzt mit gesüßtem Orangensaft, das Getränk hatten sie in großen Eimern zusammengerührt. Er drehte sich zur Seite und würgte etwas davon hervor. Es quoll aus seinem Mund und lief den Hals hinab.
Die Band hatte sich für diese spezielle Nacht etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Schließlich kam es nicht so häufig vor, dass sie mit einer uralten Waldgottheit Kontakt aufnahmen. Loki und Fenris hatten sich jede Menge Ketten um die Hüften geschlungen und ihre blassen Arme bis zu den Schultern mit genieteten Lederbändern geschmückt. Die Bänder an den Oberarmen, waren mit spitzen Nägeln gespickt. Jeder trug ein T-Shirt mit dem Bandnamen in der krakeligen roten Schrift über dem Bild von dem düsteren See. Ihre Gesichter waren frisch geschminkt und die weiße Farbe besonders dick aufgetragen. Die Augenhöhlen waren extra geschwärzt und ihre sonst anmaßend grinsenden Münder so geschminkt, dass die Mundwinkel auf dramatische Art nach unten verliefen. Nur Surtr war nackt geblieben. Auf ihrem plumpen Körper waren keine Tätowierungen zu sehen, aber ihre Schamlippen waren mit silbrig glänzenden Piercings geschmückt.
Fenris drehte Luke mit seinem Stiefel auf den Rücken. Loki packte ihn unter den Achseln und zerrte ihn durch das nasse Gras zum Kreuz.
Aus der Ferne mochte es instabil ausgesehen haben, aber die beiden jungen Männer mussten ihre ganzen Kräfte aufwenden, um das Holzkreuz aus der Erde zu heben. Immerhin hatten sie es geschafft, ein genügend tiefes Loch auszuheben.
Fenris warf Luke einen Blick zu, als sie das Kreuz vorsichtig herunterließen. »Hübsch, nicht wahr? Das ist noch Black Metal der alten Schule.«
Als das Kreuz nicht mehr weit vom Boden entfernt war, ließen
sie es mit einem lauten Plumpsen neben Luke ins Gras fallen. Dann packten sie ihn und drehten ihn, bis er so lag, dass Fenris seine Fußgelenke nehmen und ans untere Ende des Längsbalkens schieben konnte.
Loki forderte Surtr auf herzukommen. Sie tapste über die Wiese zu ihnen. Als sie sich näherte, konnte Luke erkennen, dass sie versucht hatte, sich mit der weißen, schwarzen und roten Schminke ein bösartiges Grinsen ins Gesicht zu malen, das so hinterhältig und gemein wirkte, wie es in ihrer plumpen Visage nur möglich war. Schon ohne Make-up musste sie sich nicht viel Mühe geben, um hasserfüllt auszusehen. Empfand sie wirklich so? Luke erinnerte sich an das, was in ihren Augen aufgeblitzt war, als sie ihn angegriffen hatte. Dass sie jetzt so dicht neben ihm stand, machte
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