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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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schon«, sagte Dom mit zittriger Stimme. »Das ist ein Tier. Ein gottverdammter Wolf oder so was. Fang bloß nicht
mit so einem verrückten Quatsch an. Das ist wirklich nicht der richtige Ort dafür.«
    »Wie kann denn ein Wolf oder ein Bär oder ein Bärenmarder, was auch immer es sein soll, eine Leiche so weit nach oben in einen Baum schaffen? Hm? Denk doch mal nach, Mann!«
    Doms Gesichtsausdruck sprach Bände. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie es hier mit etwas zu tun hatten, das nicht nur jenseits ihrer Vorstellungskraft, sondern sogar schier unmöglich war. Er sah krank aus, blass, verhärmt und streckte sein heiles Bein aus, während er das andere, das irgendwie nutzlos wirkte, angewinkelt hatte. Das war grundfalsch, dachte Luke überflüssigerweise, es musste hochgelegt und gestreckt werden. Aber es interessierte ihn eigentlich nicht, und der Gedanke war im Augenblick sowieso völlig abwegig.
    »Ein Mensch vielleicht. Irgend so ein Verrückter«, sagte Dom. »Möglich«, erwiderte Luke und nickte beinahe schon hoffnungsfroh. »Ein durchgeknallter schwedischer Hinterwäldler, der den Touristen auflauert. So ein Scheiß passiert andauernd, in Amerika oder Australien. In Schweden eigentlich nicht, aber wer weiß das schon so genau? Vielleicht gibt’s das auch hier. Wir sind hier in einem Teil des Landes, den nicht besonders viele Leute kennen. Und wenn sie ihn kennen, dann sind sie jedenfalls nicht da und können uns davon erzählen. Diese Kirche war vollgepackt mit Leichen. Einige von diesen Knochen waren … nicht unbedingt frisch, aber auch nicht besonders alt.«
    »Ein Opfer«, sagte Phil mit angstvollem Unterton.
    Luke und Dom schauten ihn an. Er hatte sich die blaue Kapuze wieder aufgesetzt und wandte ihnen den Rücken zu. Er starrte in die Richtung, wo Hutch aufgehängt worden war. Über Phils Schulter hinweg konnte Luke einen der Bäume erkennen, von denen sie weggelaufen waren. Zwischen den Ästen war ein bleicher Fuß zu sehen. Er dachte an seine eigene wilde Jagd durchs Unterholz, und mit einem Mal war ihm von Kopf bis
Fuß kalt und er fühlte sich krank. Einen Augenblick verlor er das Gleichgewicht und taumelte, dann fing er sich wieder.
    »Wovon redest du denn da überhaupt?«, fragte Dom wütend.
    Luke hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, und sah Phil an. »Sprich weiter.«
    Phil starrte zu Boden. »Ich hatte einen Traum. In diesem Haus. Ich erinnere mich nur an Bruchstücke. Da waren auch Leute.«
    »Was zum Teufel soll das denn jetzt?«, rief Dom empört.
    »Dom!«, zischte Luke ihn verbissen an. Er wandte sich wieder an Phil. »Ich hab auch was geträumt.«
    Phil wirbelte herum und sah Luke scharf an. Die Augen in seinem roten, verschwitzten Gesicht wirkten wild und derart panisch, dass man seinen Blick kaum ertragen konnte.
    Luke nickte. »Ja, Alter. In diesem Traum war ich gefangen. Irgendwo hier draußen. Hing im Baum fest. Um mich herum dieser … Ton. Der mich ständig umkreiste.«
    Dom lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm und glitt zu Boden. Sein Körper schien vor lauter Verzweiflung völlig zu erschlaffen. Auch er hatte etwas geträumt. Und Luke wollte wissen was. Er wollte jedes winzige Detail hören. Ihr Überleben könnte davon abhängen. Zehn Jahre lang hatte er in London zwischen Menschen gelebt, deren verbale Äußerungen nichts gewesen waren als Werbeslogans, die dazu dienen sollten, den Neid anderer Leute zu wecken. Zwischen Leuten, die es einfach nicht ertragen konnten, dass für sie vielleicht nicht mehr alles so großartig lief wie erhofft. Die sich aber nicht trauten, über ihre Schwierigkeiten zu reden oder auch nur ernsthaft darüber nachzudenken, weil sie sich einbildeten, dass sie ihre Probleme durch Ignoranz aus der Welt schaffen konnten. Es gab Zeiten, da hatte er sie darum beneidet, später verachtete er sie dafür. Auf jeden Fall war er nicht wie sie. Tatsächlich war er das genaue Gegenteil. Er hatte die Fehlschläge seines Lebens immer sehr genau untersucht. Vielleicht hatte diese Angewohnheit, sich
selbst illusionslos zu betrachten, ihm geschadet und die Chance genommen, glücklich und zufrieden zu werden. Aber hier draußen war es völlig unangebracht, sich irgendwelchen falschen Hoffnungen hinzugeben. Hier musste man sich den Tatsachen stellen, egal wie grotesk sie erschienen. Luke stellte fest, dass er die Brutalität ihrer Situation praktisch akzeptiert hatte. Er fragte sich, ob das daran lag, dass er sein ganzes Leben

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