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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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einfach ausruhen. Wir machen das schon. Aber bleib wachsam. Wenn du irgendwas hörst, schreist du.«
    »Geht klar.«

37
    Luke bemühte sich, nicht nach unten zu sehen.
    Zweimal war er auf der nassen Rinde des Astes, auf dem er stand, schon ausgerutscht. Seine Finger krallten sich um einen Zweig, der über ihm hing. Er packte mit solcher Kraft zu, dass jedes Gefühl aus seiner Hand wich und seine panischen Gedanken sich beruhigten. Der Schweiß auf seiner Stirn kühlte ab. Sein Atem ging heftig, aber er zwang sich, ruhiger zu werden und in einem normalen Rhythmus ein- und auszuatmen.
    Er hätte sogar noch weiter hinaufklettern können, aber er war schon ein ganzes Stück über den Baumwipfeln, die am Fuß der Anhöhe wuchsen. Als das Zittern in seinen Beinen nachließ, wagte er einen Blick nach oben und dann um sich herum, spähte durch die knorrigen, stacheligen Äste der Fichte, die sich vom Baumstamm in alle Richtungen ausbreiteten.
    Zum ersten Mal seit sie den Wald betreten hatten, konnte er kilometerweit sehen. Viele Kilometer in jede Richtung. Und er konnte den Waldrand erkennen. Fast brach er in Tränen aus. Er schien so nah zu sein. Beinahe hätte er diese Neuigkeit zu den andern nach unten gebrüllt, aber dann sah er sich schon das Gleichgewicht verlieren und fallen, und er blieb ruhig.
    Er kniff die Augen zusammen und versuchte, in der Ferne noch mehr zu erkennen. Der Waldrand lag im nebeligen Dunst
des Nieselregens, man konnte keine deutlichen Umrisse ausmachen, nicht einmal einzelne Bäume waren dort zu sehen. Also lag er weiter entfernt, als er zunächst angenommen hatte. Aber immerhin in Reichweite. Vielleicht sechs Kilometer entfernt. Eher wohl sieben. Und genau im Südwesten, wie Hutch richtig vermutet hatte. Aber Luke hatte sie in südliche Richtung geführt. Diese Route führte in ein wucherndes grünes Durcheinander, über dem dichter weißer Nebel hing, der kein Ende zu nehmen schien. »Mein Gott.« Wären sie weiter nach Süden vorgedrungen, hätten sie wieder den inneren Bereich des unberührten Urwalds betreten, der sich bis über die Grenze nach Norwegen erstreckte. Dieser Baum hatte ihnen das Leben gerettet.
    Luke kamen Gesichter und Straßen und Gebäude in London in den Sinn, die er gerne wiedersehen wollte. Ein Hauch von Charlottes zarter Haut. Ein dunkles würziges Ale. Musik aus der Stereoanlage. Eier und Pommes mit Sauce in einem Café am Ende der Straße, in der er wohnte. Die geduldigen Gesichter seiner Eltern. Sogar der ramponierte und muffige Schallplattenladen, in dem er arbeitete. Er würde jede einzelne Sekunde dort zu schätzen wissen, wenn er wieder nach Hause kam, würde sich hinter den Tresen stellen und dem Blödmann von Chef sagen, dass er sich unglaublich freute, ihn wiederzusehen, jeden Tag aufs Neue. Ihm wurde schwer ums Herz. Raus, raus, raus, schrie eine dünne Stimme in seinem Kopf. Er ertappte sich dabei, wie er vor sich hingrinste. Das erste Mal seit Tagen. Es fühlte sich merkwürdig an in seinem angespannten Gesicht. »Lieber Gott, ich danke dir.« Sie würden überleben. Er würde noch länger als nur ein paar Tage leben dürfen. Ein dünner Hoffnungsschimmer breitete sich am Horizont aus, packte ihn und nahm ihm den Atem. Er schloss die Augen.
    Vielleicht sollte er heute Abend schon losziehen. Nachdem er sich ausgeruht und seine letzten drei Energieriegel verzehrt hatte. Ihm schwindelte beinahe vor Begeisterung, als er sich in
rasender Geschwindigkeit die neuen Möglichkeiten vor Augen führte. Er erbebte und riss die Augen wieder auf.
    Ganz langsam holte er den Kompass aus der Jackentasche und hielt ihn vor sich, um eine genaue Route festzulegen, aus dem Wald heraus und dem entgegen, was wie eine lange Formation von unbewachsenen schwarzen Felsen aussah, und weiter über eine ausgedehnte, mit Büschen bewachsene Ebene. Nebel waberte über diese freie Fläche in der Ferne. Es war ein Geröllfeld oder eine steinige Heidefläche, und irgendwo dort musste auch der Stora Luleälven sein, der in östlicher Richtung nach Skaite floss. Dorthin würde ihm nichts folgen. Dieses Ding wollte nicht gesehen werden, sagte er sich. Es kroch lieber über die Ruinen und Überreste vergangener Zeiten.
    Von hier oben, zwanzig Meter über dem Erdboden, konnte er sehen, welcher Logik Hutch gefolgt war, als er sich die Abkürzung überlegt hatte. Aber abgesehen von der Tatsache, dass sie verfolgt wurden, hätten sie diese Abkürzung nur nehmen können, wenn sie Dom auf eine Trage

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