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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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wackeligen Beinen.
    Seine Augen suchten die Umgebung ab, nach dem, was er eigentlich gar nicht sehen wollte. Nach diesem länglichen Monstrum, das er sich vorgestellt hatte, schwarz, unförmig. Und mit einem feucht glänzenden, schwärzlichen Maul.
    Aber er sah nur das schlaffe Zelt, dem Dom den Rücken zuwandte,
während er über seine Schulter hinweg irgendwo hinschaute. Und um das Zelt herum den felsigen Untergrund, die grauschwarzen Steinbrocken, das dunkle Moos und die gelblichen Flechten, ein paar vereinzelte Bäume auf dem Gipfel, die ums Überleben kämpften und sich dem Himmel entgegenreckten. Phil war hier oben auf der Anhöhe nirgendwo zu sehen. Ein kleiner Haufen Feuerholz, der sich schon angesammelt hatte, lag neben Dom, als hätte er ihn dort fallen lassen.
    Luke hörte den eigenen Atem so laut, dass es ihn beinahe taub machte. Sein regennasses Gesicht wurde noch feuchter vom Schweiß, der ihm ausbrach. Tropfen rannen ihm in die Augen und verzerrten seine Wahrnehmung. Ohnehin sah er von überall um sich herum das Schlimmste auf sich zukommen. Am liebsten hätte er laut geschrien und wäre davon gelaufen, egal wohin. Panik erfasste ihn. Er rief etwas, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, dann zwang er sich ganz still zu stehen und seine Umgebung genauer in Augenschein zu nehmen.
    Jetzt sah er wieder klarer. Sein Blickfeld öffnete sich, und er konnte wieder so weit sehen wie vorher, als er noch nicht in Panik geraten war. Er kam wieder zu sich. Und dann bemerkte er, dass Dom auf ihn zurannte.
    Er sah Doms viel zu weit aufgerissene Augen, er wirkte völlig entgeistert. Sein Mund stand sperrangelweit auf, er keuchte und stieß unkoordinierte wimmernde Laute aus, die sich mit wildem Luftschnappen abwechselten.
    Dom klammerte sich an ihn wie ein Ertrinkender. Grabschte nach Lukes Jacke, rutschte aus, fiel auf die Seite und zog Luke mit sich zu Boden. Sie stürzten aufeinander, traten um sich, bemühten sich verzweifelt um Halt und versuchten, sich gegenseitig fortzuschieben, konnten sich aber nicht voneinander lösen, weil Dom sich krampfhaft an Lukes Jacke klammerte. Der Stoff unter Lukes Achseln zerriss, die Nähte lösten sich und alles ging in Fetzen.

    »Dom«, rief er mit erstickter Stimme. »Lass doch los.« Aber Dom hing an ihm wie an einem Floß im Wildwasser. Er wollte nicht allein untergehen, er klammerte sich an das Einzige, was ihm in seiner Umgebung überhaupt noch Sicherheit vermittelte.
    »Lass los«, brüllte Luke ihm direkt ins Gesicht. Aber Dom wimmerte nur und stieß hervor: »Er ist weg … Wurde … wurde …«
    Bis Luke seinen schweißüberströmten Kopf mit beiden Händen packte, drückte und laut schrie: »Hör auf, hör auf!« Er schüttelte seinen Kopf, in dem die Augen unnatürlich hervortraten. Bis sein Gesicht völlig entgleiste. Doms Griff erlahmte, er ließ die Stofffetzen los, erschlaffte und fiel zur Seite. Dort blieb er liegen und schlug die schmutzigen Hände vors Gesicht.
    Luke stieß sich vom Boden ab, richtete sich auf und zog seine Jacke wieder glatt. Dann suchte er in seinen Hosentaschen nach dem zusammengeklappten Taschenmesser. Er nahm es heraus und klappte es auf. Es war eine wirklich jämmerlich kurze Klinge, matt glänzend im dämmrigen Zwielicht, das sich auf diesem verlassenen Hügel ausgebreitet hatte.
    Er ließ Dom liegen und ging weg. Blinzelte nicht, bis seine Augen sich anfühlten, als wäre Seife hineingekommen. Lief direkt auf den Rand des Gipfels zu und sah den felsigen Abhang hinunter, den sie hinaufgeklettert waren, dorthin, wo Phil zuletzt nach Feuerholz gesucht hatte.
    »Phil!«, rief er, so laut er konnte. Schrie seinen Namen, bis es nicht mehr ging, weil seine Lungen schmerzten und er keine Luft mehr bekam. »Phil! Phil! Phil! Phil!« Dann bekam er einen schmerzhaften Hustenanfall und sein Brustkorb fühlte sich an, als würde er in einem Schraubstock zusammengequetscht.
    Nirgendwo war ein Zeichen von Phil zu sehen. Keine Antwort kam aus den unzähligen feucht triefenden Bäumen und dunklen schattigen Löchern im wild wuchernden Unterholz.
Die Vögel waren verstummt, kein Windhauch war zu spüren, sogar der Regen schien wie unter Schock aufgehört zu haben, als dieses Ding aus dem Gebüsch hervorgebrochen war, um einen ausgewachsenen Mann zu packen und fortzuschleppen.

38
    »Ich hab … ich hab ihn schreien gehört. Ich hab ihn nie aus den Augen verloren. Das schwör ich. Er war nur ein paar Meter entfernt. Ich hab mich um den Kocher

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