Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
Schritt, den er machte, folgte einer von Dom. Es war beinahe etwas Tröstliches in der Art, wie sie sich synchron vorwärtsbewegten. Und Dom war jetzt so dicht hinter ihm, dass er direkt in Lukes Rücken zu spüren war. Aber er stank wirklich erbärmlich. Obwohl seine Nase und sein Mund voll von getrocknetem Blut waren, konnte Luke Doms schweren Atem und den unangenehmen Geruch seiner dreckigen verschwitzten Kleidung riechen.
Das Gestrüpp wurde immer dichter, und ohne eine Machete war kein Durchkommen mehr. Sie mussten umdrehen und das stachelige Dickicht umgehen. Es wird nur deshalb immer dichter, weil wir nicht mehr weit vom Waldrand entfernt sind, sagte sich Luke. Aber trotzdem müssen wir umkehren.
Er hielt an und drehte sich langsam um.
Dann riss er sein gesundes Auge weit auf. Er konnte etwa zwanzig Meter weit sehen, aber inmitten des Gestrüpps und dem Unterholz, das er gerade durchquert hatte, war kein Dom zu finden.
Er blickte sich forschend um. Dann packte ihn eine eiskalte Angst, sein Herz schlug bis zum Hals, er spürte den pochenden Puls im Schädel, seine Sicht verzerrte sich.
Dom war offenbar schon zurückgegangen. Er muss ja hier gewesen sein, denn ich habe doch gehört, wie er hinter mir war. Jedem einzelnen meiner Schritte ist er gefolgt.
Luke versuchte, das heftige Panikgefühl niederzukämpfen, das ihn erfasste.
Weit hinten, dort wo sie diesen Pfad betreten hatten, konnte er die dunkle felsige Lichtung erkennen, auf der sie gerastet hatten. Aber auch dort war von Dom nichts zu sehen.
Er hob ganz vorsichtig den Kopf, schluckte und schluckte noch einmal das kleine bisschen Speichel, das seine Kehle benetzen sollte, und rief dann seinen Namen.
Das, was von seiner Stimme noch übrig geblieben war, kaum mehr als ein Röcheln, verlor sich im dunklen Dickicht. Noch einmal rief er nach Dom. Und wieder. Dann riss er beide Augen so weit auf, wie er konnte, und spähte in alle Richtungen. Jeden Zentimeter des undurchdringlichen Waldes suchte er ab, um irgendwo das Aufblitzen von Doms orangefarbener Regenjacke zu entdecken.
Nichts.
Dom war nicht mehr bei ihm.
Wann hatte er ihn zuletzt gesehen?
Er versuchte, sich zu erinnern. Ganz langsam ging er die letzten Minuten durch. Dort bei diesem Felsbrocken, auf den er gekrochen war, da hatte er Dom zuletzt gesehen. Nein. Er hatte ihn dort nur gehört, aber er hatte ihn nicht angeschaut. Dom war hinter ihm geblieben. Er hatte ein Geräusch gemacht. Ja, das stimmt. Ein Stöhnen oder ein leiser Ausruf. Des Erstaunens? Wollte er ihn auf etwas hinweisen? Dann hatte er mit den Füßen gescharrt und gegen etwas auf dem Boden getreten.
Vielleicht war er ja in die andere Richtung gelaufen, blind und orientierungslos, weil er völlig erschöpft war und sein Knie ihn plagte. War von Luke fortgetaumelt und hatte sich irgendwo verirrt.
Aber das konnte ja nicht sein, denn als Luke sich eben noch einen Weg durch das Dickicht gebahnt hatte, hatte er Dom direkt hinter sich gehört. Sie hatten sich beinahe berührt. Er hatte ihn nicht gesehen, nein. Aber er hatte ihn gehört und gespürt, und das war bestimmt keine Halluzination gewesen. Sie waren dicht hintereinander gelaufen. Ganz dicht.
Der Gestank.
Luke hob sein Messer.
44
Die Einsamkeit überfiel Luke so jäh und heftig, dass er zu zittern begann. Dann kam der Kampf gegen seine eigene hysterische Panik. Als er noch mit den anderen zusammen gewesen war, hatte er kaum mehr tun können, als sich zu beherrschen, aber nun, wo sie alle verschwunden waren …
In Gedanken sprach er mit sich selbst. Sein Gehirn unter der blutigen Bandage versuchte unwillkürlich, Gefährten zu erfinden. Aber diese armseligen Stimmen verstummten so schnell, wie sie aufgekommen waren, wie kleine Kinder, die peinlich berührt in Schweigen verfallen, wenn sie mit einem ernsten Erwachsenen konfrontiert werden.
Regungslos blieb er auf der feuchten Lichtung stehen, wo er vor kurzem noch mit einem Kameraden zusammen gewesen war. Die Bäume schienen ihn anzustarren, ruhig aber ohne jede Sympathie, als warteten sie neugierig, was er als Nächstes tun würde. Der Regen fiel weiter in seiner teilnahmslosen Art. Er kam beinahe um vor Durst, weil er die Stellen nicht ausfindig machen konnte, wo das Wasser sich sammelte.
Niemand antwortete auf sein krächzendes Rufen. Er fragte sich, wie lange er warten sollte. War da überhaupt noch jemand, auf den er warten konnte?
Er erschauerte. Umklammerte den Griff seines Messers. Er
wollte, dass es ihn
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