Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
Stück Mullkompresse aus dem Erste-Hilfe-Kasten hatte er die Wunde mit dem Rest des heißen Wassers aus dem Topf abgetupft und versucht, nicht zu laut aufzuschreien, wenn er sie berührte. Dom konnte nicht hinsehen, als er die fleischige Wunde versorgte. Dann hatte er die Kompresse unter die schmutzige Bandage gelegt und vorsichtig um seinen Kopf gebunden. Dom hatte das Ganze dann mit einer Sicherheitsnadel fixiert.
Der schlimmste Anblick für Luke war der seines eigenen blutüberströmten Gesichts gewesen, das er kaum wiedererkannte, als er in den kleinen Rasierspiegel blickte. Das Wasser, das Dom über seinen Kopf gegossen hatte, hatte nicht das Gesicht gesäubert. Der größte Teil des verkrusteten Bluts klebte noch da, wo es in breiten Rinnsalen herabgelaufen war. Die eine Seite seines Gesichts war aufgrund einer Prellung purpurrot verfärbt und dunkel verschmiert von dem Schmutz, der sein Gesicht und seinen Hals ohnehin schon bedeckte. Sein linkes Ohr war überkrustet von getrocknetem Blut, und es sah aus, als hätte man diese Seite seines Kopfes in ein Blutbad gehalten. Wenn er jemals hier herauskam, war er für den Rest seines Lebens übel gezeichnet. Sein blutiges Gesicht und der Gedanke an diese klaffende rosa Wunde verursachten ihm noch mehr Übelkeit, und unendliches Selbstmitleid übermannte ihn.
Jetzt brauchten sie beide eine Krücke. Dom hatte einen nassen
Ast für Luke gefunden. Und nun schleppten sie beide stöhnend ihre geschundenen Körper auf schmerzenden Beinen zwischen den uralten Bäumen hindurch.
Während sie gingen, konnte Luke kein Wort an Dom richten. Schweigend deutete er mit der freien Hand auf Lücken im Wald, die schätzungsweise in die richtige Richtung führten. Den Kompass trug er unter seiner wasserdichten Jacke auf der Brust. Öfter als nötig nahm er ihn heraus, um zu überprüfen, ob sie ungefähr jenem Weg folgten, den er sich zurechtgelegt hatte, als er auf den Baum gestiegen war.
Miteinander zu sprechen hätte nur das Bisschen an Kraft verbraucht, das ihnen noch geblieben war. Schon ein kurzer Blickwechsel konnte den anderen so weit aus dem Gleichgewicht bringen, dass er sich noch langsamer und vorsichtiger als ohnehin schon vorwärtsbewegte. Sie bleiben dicht beieinander, aber vermieden gleichzeitig einander zu nahe zu kommen.
Luke behielt das Messer die ganze Zeit über in der Hand, hatte aber so große Schwierigkeiten das Gleichgewicht zu halten und litt derart unter den pochenden Schmerzen in seinem Kopf, dass er überhaupt keine Kraft mehr gehabt hätte, sich zu wehren. Wenn sie jetzt angegriffen wurden, waren sie dem Tod geweiht.
Sie taumelten einfach nur weiter, gedankenlos und lediglich darauf konzentriert, nicht zu stürzen und in die Richtung zu gehen, wo sie das Ende des Waldes vermuteten, immer weiter, bis sie die Ebene und den Fluss erreichten. Oder bis sich ihr unsichtbarer Verfolger dazu entschloss, erst einen von ihnen zu schnappen und dann den anderen.
Als sie an die Stelle kamen, wo Phil in einer Kiefer hing, blieben sie nicht stehen. Seine Leiche sah noch viel schlimmer aus als die von Hutch, ähnelte mehr den Überresten des Tiers, das sie zuerst entdeckt hatten, vor langer, langer Zeit.
Dom schluchzte auf und murmelte vor sich hin. Luke hielt
die Augen gesenkt. Nachdem er zu seinem toten Freund hinaufgesehen hatte, der dort ausgebreitet an den Ästen festgemacht war, und Phils Gesicht gesehen hatte, schaute er nicht noch einmal hin. Sie hatten sich sogar für einen kurzen Moment in die Augen geblickt.
Wie verängstigte Kinder hielten Luke und Dom einander fest, den Arm um die Schultern des anderen gelegt, sich gegenseitig stützend, und taumelten unter dem kalten, bleichen Leichnam des Freundes hindurch immer weiter in den Wald hinein.
43
Er konnte an nichts mehr denken als an Wasser. Traumbilder von kühlen Bächen, die durch den Wald rauschten, gaukelten ihm durch den Kopf, während er seine ausgedörrte Kehle spürte. Silbriges Plätschern und Fließen über glatte Kieselsteine, eiskaltes klares Nass, das durch ein Bachbett auf ihn zuströmte und über seine vertrockneten Lippen lief, um die Wüste in seinem Rachen zu benetzen. Wenn sie irgendwann auf einen Fluss stießen, würde er seinen Magen stundenlang mit dem lieblichen und erquickenden Nass füllen, bis jede einzelne Zelle seines Körpers mit Wasser gesättigt war. Wasser. Schon allein dieses Wort erfüllte sein ganzes Dasein mit Durst.
Die Umgebung verschwamm vor seinen Augen. Er
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