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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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sah auf seine Hände und Handgelenke, an denen er nadelstichartige Schmerzen spürte, weil sich winzige spitze Stachel hineingebohrt hatten, und er sah Massen von krummbeinigen Insekten, die sein Blut saugten, bis ihre schwarzen Leiber aufgebläht waren. Seine Hände waren von ihnen bedeckt, als würde er Handschuhe tragen. Sein Hals genauso. Vielleicht waren es ja Stechmücken, die hier im oftmals sumpfigen Boden zu Hause waren. Er war zu kraftlos und sein Gleichgewichtssinn zu gestört, um sie wegzuscheuchen. Also ließ er sie saugen. Immerhin bekam auf diese Weise wenigstens jemand etwas zu trinken. Er
grinste vor sich hin und spürte sofort einen Schmerz an seiner Stirn. Es dauerte einige Sekunden, bis er das Grinsen wieder aus seinem Gesicht verschwinden lassen konnte. Die Höllenqualen, die er erlitt, wenn er das Gesicht verzog, ließen nach und wichen dem gewohnten pulsierenden Schmerz. Gern hätte er dem schweigend dahintrottenden Dom seine Gedanken mitgeteilt, aber das Sprechen war nahezu unmöglich geworden.
    Er fragte sich, ob überhaupt noch irgendwelche Flüssigkeit in seinen Hüftgelenken vorhanden war. Ihr schreckliches knochiges Reiben und Knacken war im ganzen Körper zu spüren, wenn er einen unbedachten Schritt machte. Weiße Punkte störten seine Sicht. Sich umdrehen und nach Dom sehen würde bedeuten, dass er anhalten und seinen ganzen Körper wenden musste, weil er nicht mehr in der Lage war, den Hals zu drehen, ohne dass ein blitzartiger weißglühender Schmerz durch seinen Schädel zuckte. Also verzichtete er darauf, zurückzuschauen und zu kontrollieren, wie es Dom erging. Wenn er innehalten musste, um über einen Steinbrocken oder einen umgefallenen Baumstamm zu klettern, stieß Dom oftmals von hinten gegen ihn und brummte unverständlich vor sich hin. Sie gingen so dicht hintereinander und so langsam, dass jedes Zögern gefährlich wurde, weil sie beide stolpern und fallen konnten.
    Luke befand sich geistig und körperlich in einem viel zu jämmerlichen Zustand, als dass er sich noch viele Gedanken über den armen Hutch oder das Schicksal von Phil machen konnte, die sie nun beide zurückgelassen hatten. Und was dieses Ding betraf, so konnten sie sicher sein, dass es ihnen folgte. Trotz seiner Erschöpfung und seinem Beinahe-Delirium ließ Luke es nicht zu, dass es in seine Gedanken eindrang. Nicht, so lange er noch Widerstand leisten konnte. Sie würden ihm sowieso früh genug wiederbegegnen. Da war er sich sicher. Und er ging davon aus, dass auch Dom das wusste.

    Um zwei Uhr nachmittags warf Luke seine Krücke von sich und sank auf die Knie. Von nun an würde er auf allen vieren weiterkriechen. Es war einfach besser, wenn sein kaputter Kopf näher am Erdboden war.
    Dom sagte etwas, aber er hörte es gar nicht. Luke deutete einfach nur nach vorn, um anzuzeigen, dass sie jetzt diesen Abhang hinunter mussten, wo sie auf eine ungewöhnlich karg bewachsene Wiese stoßen würden, auf der ein Muster von Licht und Schatten durchaus einladend wirkte. Dort war es außerdem sehr feucht, und er hoffte, dass er der vollgesogenen Erde vielleicht etwas Flüssigkeit entringen konnte.
    Hinter ihm klackte Doms Krücke gegen die Steine und Wurzeln im Boden, während er langsam und unsicher mit dem Abstieg begann. Bei jeder Bewegung stöhnte er auf vor Schmerzen.
    Als er unten angekommen war, legte Luke sich flach auf den kühlen Boden und schloss die Augen. Vorsichtig umfasste er mit seinen geschwollenen roten Händen den Kopfverband, um seinen kaputten Schädel irgendwie zusammenzuhalten. Teile seines Gehirns mussten wohl schon angeschwollen sein, denn er spürte ein Zucken in den Wirbelknochen im unteren Rückenbereich.
    Er stellte sich vor, wie ein Arzt ihn untersuchen und ihm raten würde, sich am besten überhaupt nicht mehr zu bewegen. Bewegen Sie sich nicht! Das ist das Schlimmste, was Sie bei einem Hirntrauma tun können. Andererseits fragte er sich, ob die Worte des imaginären Doktors überhaupt der Wahrheit entsprachen. Er wusste nur sehr wenig über Erste Hilfe. Oder vom Überleben in der Wildnis und wie man sich Wasser und Nahrung beschaffen konnte, wenn die Supermärkte geschlossen waren. Oder was man aus der Windrichtung oder der Farbe des Himmels schließen konnte. Er reagierte einfach nur auf die Katastrophe, die schon passiert war. Er war ohne Hoffnung, völlig erledigt und längst dem Untergang geweiht. Ich gehöre zur Generation
Arschloch , hauchte er kraftlos und lachte leise vor sich

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