Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
Vom Netzwerk:
hin. Wir würden nicht mal in einem Stausee Trinkwasser finden. Wir gehen einmal in den Wald und kommen darin um. Wir sind nichts weiter als kleine Küken, die aus dem Nest fallen und zu Tode stürzen.
    Er glaubte, das Geräusch von Wasser zu hören, und setzte sich auf. Aber es war nur ein Windhauch. Also saugte er an den Blättern, auf deren glatter wachsartiger Oberfläche winzige Tropfen klebten, die bitter schmeckten. Dabei lief er um die Lichtung herum, als wäre sie das Zifferblatt einer Uhr und er der Minutenzeiger. Manchmal erwischte seine Zunge einen ganzen Regentropfen, aber die Flüssigkeit reichte nicht aus, um seine ausgedörrte Kehle zu benetzen. Er leckte an der feuchten Rinde der Bäume. Er legte den Kopf in den Nacken und öffnete den Mund, aber der Regen fiel auf sein Gesicht, nicht in seinen Mund.
    In den Winkeln seiner Augen, die er so weit wie möglich zugekniffen hatte, weil schon das Zwielicht im Schatten sie schmerzte, sah er die orangefarbenen Umrisse von Dom in seiner Regenjacke. Er sammelte Blätter und Rindenstücke auf und versuchte, das Wasser aus ihnen zu trinken. Es sah aus, als würde er Austern aus der Schale schlürfen und ihr glibberiges Fleisch verschlucken. Sein Gesicht war eine einzige Maske aus filzigem Bart und Dreck.
    Luke sah auf den Kompass und hielt eine gerötete Hand gegen die Seite seines Kopfes wie ein Sänger, der eine bestimmte Note zu treffen versucht. Mit dem einen Auge, dessen Sicht von irgendwelchem braunen Rauch behindert schien, konnte er erkennen, dass sie in die richtige Richtung vorankrochen. Und dann dachte er an das, was er gesehen hatte, als er auf den Baum geklettert war. Den Waldrand in der Ferne. Die Linie, hinter der sich eine flache felsige Ebene ausbreitete. Er glaubte, dass er dort auch Wasser gesehen hatte. Vielleicht gab es da wirklich welches.
Wasser sammelte sich doch in felsigen Kuhlen an, in kleinen eiskalten Seen, in die er dann sein Gesicht tauchen konnte.
    Fliegen surrten durch die feuchte Luft und versammelten sich wie kleine Knöpfe aus Metall an seinem blutigen Turban.
    Er stand auf. Er wollte das Ende des Waldes erreichen. Die kurze Rast hatte ihm immerhin eine drängende Sehnsucht beschert, die ihn motivierte weiterzumachen.
    »Gehen wir. Es ist nicht mehr weit«, versuchte er Dom zu sagen, aber es klang nur wie ein Gurgeln, und er musste heftig schlucken. Er wusste, das war das letzte Mal, dass er etwas gesagt hatte.
    Dom humpelte auf ihn zu, und sie verließen die Lichtung.
     
    Um kurz vor sechs musste er wieder anhalten und sich auf einen dicken Felsbrocken legen, weil der Schwindel so heftig geworden war, dass sein Magen rebellierte und kalte Schauer über seine Haut jagten. Irgendwo hinter ihm machte Dom plötzlich ein Geräusch. Es war kein artikuliertes Wort, aber es schien eine Art erleichtertes Aufstöhnen zu sein, weil Luke ihnen eine weitere Pause gönnte. Es hatte schon so viele davon gegeben. Sie ruhten sich beinahe so viel aus, wie sie vorangingen. Alle paar Meter. Und sie mussten ständig knien, um die kleinen Wasserpfützen aufzusaugen, die sich auf den Steinen gebildet hatten, oder feuchte Blätter abzulecken. Ein Stück weiter entfernt stießen Doms Füße gegen etwas und wirbelten Blätter auf.
    Als das Schwindelgefühl wieder abgeebbt war, schaute Luke blinzelnd durch das eine Auge und stand dann wieder auf, um sein unkoordiniertes Voranschleichen und Aufstöhnen fortzusetzen. Er versuchte, ein paar Töne hervorzustoßen, als er den Arm ausstreckte, um auf ein Dickicht zu deuten, in dem er glaubte, einen gewundenen Pfad ausgemacht zu haben, der sie ihrer Erlösung ein Stück näher brachte.
    Und wieder ging es ins Unterholz, wo die stacheligen Zweige
gegen seine Regenjacke schnellten und sich im Stoff seiner Hose verfingen. Kletterpflanzen schlangen sich wie Tentakeln um ihn, und immer wieder musste er einen Schritt zurück machen, sich von ihnen befreien und darüber steigen, nur um sich dann im nächsten Gestrüpp zu verheddern. So ging das nun schon seit Tagen. Seine Hose war mittlerweile ziemlich zerrissen. Aus kleinen Löchern waren große geworden, durch die ständig Dornen und Mücken eindrangen und sich über ihn hermachten.
    Hinter sich spürte er undeutlich die Anwesenheit von Dom, der vorsichtig in seine Fußstapfen trat. Vielleicht passte er auch auf, ob er plötzlich die Balance verlor, und fing ihn auf, wenn er zusammenbrach, damit er nicht in den fauligen und stacheligen Morast fiel. Auf jeden

Weitere Kostenlose Bücher