Im Todesnebel
Leine, und er schlug heftig auf dem stählernen Deck auf. Die hervorstehenden Nieten gruben eine tiefe Spur in seine Brust.
Einen Moment blieb er atemlos liegen, auch sein verletztes Bein hatte wieder zu schmerzen begonnen. Es war ruhig, viel zu ruhig. Weder Stimmen noch Schüsse waren zu hören. Der Nebel schien alles Leben verschluckt zu haben.
Im Schutz der Bordwand kroch Pitt weiter, bis er hinter den Rettungsbooten wieder sichere Deckung fand. Er war sicher, daß im Magazin der Mauser nur noch wenige Schuß Munition sein konnten. Plötzlich griff seine tastende linke Hand in etwas Feuchtes. Ohne genau hinsehen zu müssen, wußte Pitt, was es war. Die Spur führte in die dunstige Finsternis, und Pitt folgte ihr. Bald verbreiterte sie sich zu einem stehenden Strom, der schließlich in einem See endete, in dessen Mitte die Leiche von Lieutenant Stanley lag.
Pitt fühlte kalte Wut in sich aufsteigen, und trotzdem blieb sein Verstand scharf und aufmerksam. Sein Gesicht erstarrte zu einer Maske der Enttäuschung und Ohnmacht, weil er zu spät gekommen war, um Stanley noch helfen zu können. Aber er zwang sich weiterzusuchen, getrieben von der Ahnung, daß Boland noch nicht tot war. Dann hielt er an und lauschte in die Nacht. Aus der Finsternis vor seinen Augen drang ein unterdrücktes Stöhnen zu ihm.
Fast wäre Pitt über Boland gestolpert, denn er sah ihn erst, als er schon vor ihm stand. Boland kroch auf allen vieren Zentimeter um Zentimeter über das Deck, aus seiner linken Schulter ragte ein armlanger Fischspeer in die Höhe. Sein Kopf war nach vorn gefallen, die Hände zu Fäusten geballt, und sein T-Shirt war blutgetränkt. Benommen sah er mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Pitt hinauf. »Sie sind zurückgekommen?«
»Ich hatte das Gefühl, noch etwas vergessen zu haben«, sagte Pitt mit einem kurzen Lächeln. »Aber der Speer da muß raus.«
Er schob die Mauser hinter den Bund seiner Hose und zog Boland vorsichtig in die Deckung der Rettungsboote. Dann, nachdem Boland sich flach ausgestreckt hatte, packte er den Speer mit beiden Händen. »Ich zähle bis drei.«
»Machen Sie schnell, Sie Sadist«, sagte Boland mit tränenerstickter Stimme.
Pitt schloß die Hände noch fester um den Schaft der Waffe.
»Eins.« Er stellte sein rechtes Bein auf Bolands rechte Schulter.
»Zwei.« Pitt spannte die Muskeln und riß den Speer ruckartig in die Höhe. Mit einem widerwärtigen Geräusch glitt die blutverschmierte Eisenspitze aus der Schulterwunde.
Laut aufstöhnend warf sich Boland herum. Aus trüben Augen starrte er zu Pitt hinauf. »Sie Scheißkerl«, murmelte er. »Sie haben nicht drei gesagt.« Dann verdrehten sich seine Augen, und er verlor das Bewußtsein. Pitt warf den Speer über Bord und legte sich Bolands leblosen Körper vorsichtig über die rechte Schulter. Dann hastete er gebückt, so schnell es seine Last und sein schmerzendes Bein erlaubten, den Weg zurück. Geschickt nutzte er die Ladeluken und die Takelage als Deckung, die ihm zweimal Schutz boten, als er aus dem feuchten Nebel Geräusche hörte und abrupt stehenblieb. Allmählich fühlte auch er seine Kräfte versiegen, aber der Gedanke, daß elf Mann der sichere Tod erwartete, wenn es ihm nicht bald gelang, den Helikopter in die Luft zu bringen, trieb ihn immer wieder vorwärts. Und endlich taumelte er mit wilden Atemstößen an den Rand des Flugdecks.
»Hier kommt Pitt«, rief er, so laut es seine gequälten Lungen noch zuließen.
Die muskulösen Arme von Lieutenant Harper hoben Boland von Pitts Schulter, und mit hastigen Schritten trug der Bordingenieur den bewußtlosen Commander zum Helikopter.
Pitt zog noch einmal die Mauser hervor und bestrich mit einer letzten Salve erneut Bug und Heck.
Dann kletterte er ins Cockpit der Maschine und ließ sich in den Pilotensitz fallen, in dem sicheren Gefühl, dem Tod und dem Pacific Vortex noch einmal entkommen zu sein.
Ohne sich erst festzuschnallen, drückte Pitt den Gashebel nach vorn, und in der nächsten Sekunde peitschten die Rotorblätter mit größerer Drehzahl die Luft. Die Landekufen lösten sich vom Flugdeck, und vorsichtig zog Pitt die Maschine mehrere Meter senkrecht in die Höhe. Dann ging der Helikopter in Horizontalflug über und ließ die
Martha Ann
endgültig hinter sich.
Sobald das Schiff unter ihnen im Nebel verschwunden war, heftete Pitt seine Augen auf den künstlichen Horizont der Instrumententafel. Wo ist der Himmel? schrie er innerlich. Wo?
Wo?
Und plötzlich war er
Weitere Kostenlose Bücher