Im Todesnebel
da. Der Helikopter schoß hinaus in das fahle Mondlicht. Pitt ließ die Maschine weiter steigen, und dann, wie ein riesiger Nachtvogel auf dem Weg zu seinem Nest, jagte der Helikopter seinem eigenen Schatten hinterher, der im Mondlicht über die Wellen des Pazifiks tanzte, zurück zu den palmenbewachsenen Stranden von Hawaii.
12
Henry Fujima war der letzte Nachfahre eines aussterbenden Geschlechts, das vor vier Generationen aus Japan nach Hawaii gekommen war. Schon sein Vater war, wie auch dessen Vater und wiederum auch dessen Vorfahr, ein einfacher Fischer gewesen. Und mehr als vierzig Jahre lang hatte auch Henry mit seinem selbstgebauten Sampan unermüdlich den listenreichen Thunfisch gejagt. Die großen Sampan-Flotten, für die Hawaii einmal bekannt gewesen war, gab es inzwischen nicht mehr. Der harte Wettkampf mit den internationalen Fischereiflotten und unlizenzierten Fängerbooten hatte sie verschwinden lassen. Und nun war Henry der einzige, der noch, gegen eine Ruderstange aus Bambus gelehnt, über den großen Pazifik kreuzte.
Er stand auf dem hinteren Deck seines kleinen Schiffes, die Füße fest gegen die Holzplanken gestemmt, die das Öl Abertausender getöteter Fische aufgesogen hatten und davon dunkel gefärbt worden waren. Während seine Gedanken zurückwanderten zu den Tagen, da er noch zusammen mit seinem Vater gefischt hatte, warf er die Fangleine in die nur wenig bewegte morgendliche See. Mit Wehmut gedachte er der Stunden an den Holzkohlefeuern und dem heiteren Lachen, wenn die Sakiflaschen von Sampan zu Sampan wanderten, nachdem die Schiffe für die Nacht miteinander vertäut worden waren. Er schloß seine Augen, und eine lange Reihe toter Gesichter stieg aus den Tiefen seines Gedächtnisses empor.
Dazu hörte er Stimmen sprechen, deren letzter Ton schon längst verklungen war. Als er seine Augen wieder öffnete, zog ein Fleck am Horizont seine Aufmerksamkeit auf sich.
Henry sah den Fleck wachsen und sich in ein Schiff verwandeln, in einen rostigen alten Kahn, der durch das Meer pflügte. Noch nie hatte er ein Frachtschiff gesehen, das mit so großer Geschwindigkeit fuhr. Nach der weißschäumenden Bugwelle zu urteilen, die fast bis zu den Ankerklüsen hochschlug, mußte das Schiff um die fünfundzwanzig Knoten laufen. Dann wurde Henry starr vor Schrecken.
Das Schiff hielt seinen Kurs und steuerte direkt auf den Sampan zu. Er band sein Hemd an die Angelrute und schwenkte sie wild hin und her. In panischer Angst sah er den Bug immer höher aufwachsen, als hätte sich ein Monster eine Fliege zum Opfer erwählt. Er schrie aus Leibeskräften, aber niemand erschien an der Reling. Auch die Brücke war menschenleer.
Hilflos mußte Henry zusehen, wie das Geisterschiff seinen Sampan überlief und das alte Boot in tausend Splitter zerschlug.
Henry kämpfte sich unter Wasser aus den Trümmern seines Sampans heraus, das scharfkantige Holz riß ihm dabei die Arme auf. Die Schrauben des Frachters wirbelten vorbei, und nur mit einer verzweifelten Kraftanstrengung entging Henry dem Sog ihrer tödlichen Blätter. Als er endlich wieder die Wasseroberfläche durchstoßen hatte, rang er keuchend in den Wellen des Kielwassers des unbemannten Schiffes nach Luft.
Schließlich gelang es ihm, den Kopf über Wasser zu halten, und während seine Füße kräftig austraten, wischte er sich die salzige Nässe aus den Augen. Das Blut aus seinen aufgerissenen Armen färbte das Wasser allmählich rot.
Es war kurz nach zehn Uhr morgens, als Pitt schließlich die Tür zu seinem Apartment öffnen konnte. Er war müde und seine Augen brannten, wenn er sie schloß. Er hinkte leicht. Sein verletztes Bein war neu verbunden worden, und es war etwas steif, aber sonst spürte er nichts mehr. Pitt hatte nur noch einen Wunsch, er wollte endlich schlafen und die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden vergessen.
Man hatte ihn über Funk angewiesen, die Besatzung der
Martha Ann
entweder nach Pearl Harbor oder zum Hubschrauberlandeplatz von Hickam Field zu bringen. Aber Pitt hatte den Befehl einfach ignoriert. Statt dessen war er mit der Maschine sanft auf einer Wiese niedergegangen, die keine siebzig Meter vom Eingang zur Notfallstation des Tripler-Militärkrankenhauses entfernt lag. Er hatte gewartet, bis Boland und der junge schwerverletzte Soldat in den Operationssaal geschoben wurden, und erst dann hatte er einem Militärarzt erlaubt, die Wunde unter seinem Knie zu nähen. Anschließend hatte er sich durch einen
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