Im Totengarten (German Edition)
solchem Nachdruck an, dass sie zum allerersten Mal nicht widersprach, sondern einfach tat, worum ich sie gebeten hatte.
Burns pflügte einen dreißig Zentimeter hohen Stapel mit Berichten durch, als ich vor seinen Schreibtisch trat. Seine blutunterlaufenen kleinen Augen sahen aus, als hätte er sie schon seit Tagen nicht mehr zugemacht. Er hievte sich ein kleines Stück aus seinem Stuhl, als er mich sah. Vielleicht hatte er ursprünglich vorgehabt, tatsächlich aufzustehen, doch die unsichtbare Hydraulik, die die Masse seines Körpers bisher auf und ab gewuchtet hatte, hatte anscheinend endgültig den Dienst quittiert.
»Ich habe gehört, dass Ihr Bruder wieder halbwegs bei sich ist, Alice«, stellte er fest. »Ben ist gerade bei ihm im Krankenhaus.«
»Ich bin nicht meines Bruders wegen hier«, schnauzte ich ihn an, und er hörte mir unbewegt zu, als ich erklärte, in welcher Gefahr Lola war. Ich listete sämtliche Beweise dafür auf. Weshalb hätte sie schließlich ihren Traumjob riskieren, einen guten Freund aus seiner eigenen Wohnung aussperren und nicht mal an ihr Handy gehen sollen, wenn alles in Ordnung war?
Er sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Sie wissen, dass Lolas Freund wegen mehrfachen Betrugs verhaftet worden ist, nicht wahr?«
»Und was hat das damit zu tun?«
»Meiner Meinung nach sehr viel.« Burns bedachte mich mit einem ungläubigen Blick. »Sie scheint manchmal ziemlich unüberlegt zu sein. Vielleicht hat sie es ihm ja nachgemacht und ist einfach bei Nacht und Nebel abgehauen.«
»Das ist totaler Schwachsinn. Sie hatte keine Ahnung, was der Kerl getrieben hat.«
Burns zog seine Brauen hoch. »Sind Sie sich da sicher?«
»Sie hören mir nicht richtig zu, Don.« Ich musste mich zwingen, ihn nicht anzuschreien. »Lola würde einen anderen Menschen niemals schlecht behandeln.«
Er stieß einen leisen Pfiff zwischen den Zähnen aus. »Dann muss ich einer anderen jungen Frau begegnet sein. Sie hat sich wie eine echte Rotzgöre aufgeführt, als ihr Liebster von uns festgenommen worden ist, und hat Ben mit allen nur erdenklichen Schimpfnamen belegt.«
»Dann werden Sie also nicht mal nach ihr suchen.«
»Das habe ich nicht gesagt.« Burns wählte seine Worte so bedächtig, als zeigte ich ihn andernfalls vielleicht bei seinem Vorgesetzten an. »Füllen Sie eine Vermisstenanzeige aus, und legen Sie sie mir hierhin.«
»Und das soll etwas bringen?«
Burns legte die Hand auf seinen Aktenberg, und es war ihm deutlich anzusehen, dass er sich danach sehnte, die Berichte endlich weiter durchzugehen. Doch ich starrte ihn so lange an, bis ihm nichts anderes übrigblieb, als mir nochmals ins Gesicht zu sehen.
»Ich verlange, dass in die Akten kommt, dass Lola gekidnappt worden ist. Dieser Bastard hat sie sich geschnappt, und Sie drücken mir nur eins Ihrer verdammten Formulare in die Hand.«
Er antwortete nicht, doch ich wusste, was er dachte. Nämlich, dass ich aufgrund meiner Anspannung langsam hysterisch wurde, aber mich mit etwas Glück nachher von Alvarez beruhigen ließ. Seelenruhig nahm er die nächste Akte von dem Berg und begann zu lesen, als wäre ich schon nicht mehr da.
Ich weiß nicht, warum ich nach der Rückkehr ins Hotel so wütend war. Außer vielleicht, weil sich Wut normalerweise eher in den Griff bekommen ließ als Angst. Wut konnte durchaus belebend sein, solange sie einen nicht von innen heraus fraß. Ich kochte vor mich hin und schnauzte die arme Angie derart häufig an, dass sie regelrecht erleichtert wirkte, als der junge Meads zu ihrer Ablösung erschien. Und auch er sah mir die schlechte Laune offenkundig überdeutlich an, denn er tauchte, ohne auch nur den Versuch eines Gespräch mit mir zu unternehmen, sofort hinter seiner Zeitung ab.
Ich klappte mein Handy auf und fand darauf zwei verpasste Anrufe von Alvarez sowie eine gebrabbelte Nachricht meines Bruders vor. Er sprach derart schnell, dass ich zweimal hinhören musste, bis ich ihn verstand.
»Ich habe Angst, Al. Er ist wieder da, er ist hier im Krankenhaus. Ich sehe ihn jeden Tag. Er ist der Teufel, da bin ich mir sicher. Hilf mir, bitte, Al.« Danach stieß er nur noch ein unglückliches Wimmern aus, und ich löschte die Nachricht sofort. Wills Dämonen würden erst verschwinden, wenn die Drogen aus seinem Körper verschwunden wären, doch zumindest brachte er inzwischen wieder ganze Sätze raus.
Ich fuhr mir mit der Hand über die Augen. Ein ums andere Mal dachte ich daran, was er getan hatte, auch wenn
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