Im Totengarten (German Edition)
noch langweiliger war als alle anderen, die Augen zugefallen waren.
Es kam mir seltsam vor, alleine loszugehen, wie ein Teenager, der von zu Hause ausbüxte, weil er auf einer wilden Party eingeladen war, und dem im Falle des Erwischtwerdens eine Woche Hausarrest drohte.
Als ein freies Taxi direkt auf mich zugefahren kam, holte ich tief Luft und winkte es heran.
34
Der Fahrer setzte mich um kurz vor acht in der Kemerton Road ab. In Alvarez’ Haus brannte kein Licht, und ich fragte mich, ob er vielleicht nach Dienstende in einen Pub gegangen war, um sich nach einem Tag, an dem er wieder einmal nicht weitergekommen war, ein Bierchen zu genehmigen. Trotzdem erklomm ich die Stufen bis zum Eingang und betätigte den Klingelknopf. Das ehemals leuchtende Rot der Tür hatte inzwischen einen dumpfen Rostton angenommen, und an ein paar Stellen blätterte die Farbe ab.
Während ich dort stand und wartete, wurde mir plötzlich klar, dass ich wahrscheinlich ewig laufen musste, bis ich irgendwo ein freies Taxi fand, und auch der Gedanke, bald schon wieder in der Enge meines Zimmers eingesperrt zu sein, sagte mir nicht wirklich zu.
Deshalb atmete ich auf, als endlich ein Geräusch hinter der Tür erklang.
Alvarez’ Gesicht drückte gleichermaßen Schock wie Überraschung aus. Er trug ein schwarzes Hemd über verblichenen Jeans, seine Füße waren nackt, und er hatte sich das nasse Haar aus dem Gesicht gekämmt. Wortlos trat er auf mich zu, nahm mich in den Arm, und ich atmete seinen herrlich sauberen Geruch ein. Für mich ist nichts verführerischer als ein frisch geduschter Mann, denn die warme, noch ein wenig feuchte Haut wirkte herrlich neu und völlig unberührt.
Nur mit Mühe konzentrierte ich mich auf den Grund meines Besuchs.
»Ich brauche deine Hilfe, Ben.«
»Du kriegst von mir alles, was du willst.« Er lehnte sich lässig an die Wand. »Aber nur, wenn du vorher mit mir zu Abend isst.«
Plötzlich wurde mir bewusst, was der Grund für die vernachlässigte Außenansicht des Hauses war. Alvarez hatte seine ganze Zeit und Mühe und wahrscheinlich all sein Geld in die Perfektionierung des Inneren gesteckt. Sicher hatte er alleine für die Renovierung seiner Eingangshalle eine halbe Ewigkeit gebraucht, aber jetzt erstrahlten die Natursteinfliesen wieder in der ursprünglichen Pracht, und die Wände hatten einen warmen taubenblauen Anstrich, der die farbenprächtigen Gemälde, die dort hingen, vorteilhaft zur Geltung kommen ließ. Ich blieb kurz stehen, um das Gehäuse einer Standuhr zu bewundern, die bis fast unter die Decke ging.
»Die habe ich aus Spanien kommen lassen«, klärte Alvarez mich mit einem Blick über die Schulter auf. »Hat mich ein halbes Vermögen gekostet.«
Als ich in die Küche kam, bereitete er schon das Essen zu. Ich hatte gedacht, er lebte wie sein Boss von Fast Food und von Schokoladenriegeln, bis der Schaden nicht mehr gutzumachen war. Stattdessen hackte er geschickt mit einem langstieligen Messer Büschel frischer Kräuter, und der Duft des Knoblauchs, der schon in der Pfanne brutzelte, rief Hungergefühle in mir wach.
»Kann ich dir was helfen?«, fragte ich.
Er trat vor den Herd, wo er ein paar Handvoll Linguine in kochendes Wasser warf. »Such schon mal einen Wein aus, wenn du willst. In den Keller kommst du durch die zweite Tür im Flur.«
Das war ein guter Vorwand, um mich etwas umzusehen. Das Wohnzimmer war schlicht und elegant möbliert. Auf dem Sims des Art-déco-Kamins, vor dem zwei bequeme Sessel standen, war eine Reihe zarter afrikanischer Skulpturen angeordnet, und der warme Ockerton der Wände wirkte wie Sonnenlicht an einem Sommertag. Mir fiel ein, dass Alvarez erzählt hatte, seine Frau hätte in Spanien Innenarchitektur studiert, und einen Blick für Farben hatte sie auf jeden Fall gehabt.
Vor der Kellertür blieb ich kurz stehen. Ich ging nie in irgendwelche Keller, wenn es sich vermeiden ließ, denn die Enge und der Luftmangel riefen immer ein Gefühl von Panik in mir wach. Als aber das Licht anging, war es für mich okay. Denn der Raum fühlte sich luftig an, da die Wände weiß gestrichen waren, und als ich den Heimtrainer, die Bank und die Gewichte in der Ecke sah, erkannte ich, weswegen Alvarez problemlos mit mir laufen konnte, obwohl er angeblich allergisch gegen Fitnessstudios war.
Zwei Weinregale lehnten an der Wand, und ich schnappte mir die erste Rotweinflasche, die mir in die Hand fiel, und lief schnell zu Alvarez zurück. Er betrachtete das Etikett und
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