Im Totengarten (German Edition)
der Stirn und sah mich wieder an. Sein Gesichtsausdruck war ganz unmöglich zu verstehen, doch ich meinte, dass ich eine ganze Bandbreite verschiedener Gefühle darin sah: Verlangen, Furcht und Mitleid, aber vielleicht bildete ich mir das Letzte auch nur ein.
Für gewöhnlich fand ich es entsetzlich, wenn ein Mann sich noch in mir bewegte, wenn ich schon gekommen war, dieses Mal jedoch war es für mich wie eine Fahrt in einer Achterbahn. Immer wieder schwang ich mich in ungeahnte Höhen auf und stürzte genauso plötzlich wieder ab. Ein ums andere Mal verlor ich die Kontrolle, und bereits nach kurzer Zeit hörte ich auf zu zählen, beim wievielten Orgasmus ich inzwischen war.
Mit einem Mal jedoch veränderten sich seine Atmung und sein Takt, ich spürte, dass auch er sich gehenließ, und im selben Augenblick wurde mir klar, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.
Denn er blickte mich so angewidert an, als hätten wir etwas Unverzeihliches getan.
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Ich drehte meinen Kopf zur Seite, um sein Unglück nicht zu sehen. Meine eigene Reaktion war das genaue Gegenteil von dem, was er empfand: eine Mischung aus Jubel und Erleichterung. Ich kuschelte mich selig an ihn und schlief in seinen Armen ein.
Als ich meine Augen wieder aufschlug, war er nicht mehr da. Vielleicht hätte ich nach oben gehen sollen, um zu gucken, wo er war. Sicher hockte er gesenkten Hauptes auf dem Bett in seinem kahlen Zimmer und verspürte heftige Gewissensbisse, weil er seiner toten Frau nicht länger treu geblieben war. Aber ich hätte es nicht ertragen, wenn er mir jetzt erklärt hätte, alles wäre viel zu schnell gegangen und wir dürften uns nie wiedersehen.
Immer wieder dachte ich daran, wie er mich danach angesehen hatte: erst vollkommen ausdruckslos und dann zutiefst beschämt. Lächeln hatte er beim Sex mit mir eindeutig nicht gelernt. Ich stieg wieder in mein Kleid und sammelte meine Sachen ein. Ich hatte nur noch den Wunsch, zu verschwinden. Wenn er mich nicht wollte, gab es keinen Grund für mich, zu bleiben, dachte ich, als ich im Flur nach meinem Mantel griff. Als ich ging, blieb alles ruhig, als hielte das ganze Haus den Atem an, und kaum stand ich draußen auf der Treppe, fiel auch schon die Haustür hinter mir ins Schloss, als wäre das Gebäude froh, mich endlich wieder los zu sein.
Entschlossen, nicht in Tränen auszubrechen, stolperte ich los. Ich hoffte, Alvarez würde es sich noch einmal überlegen und mir nachlaufen, doch obwohl ich mehrmals stehen blieb und über meine Schulter blickte, war er nirgendwo zu sehen. Es war drei Uhr nachts, und auf der stockdunklen Straße war nicht eine Menschenseele unterwegs. Ein einzelner Wagen fuhr an mir vorbei, und der Fahrer ging vom Gaspedal und sah mich einmal forschend an, bevor er wieder schneller weiterfuhr.
Ich beschloss, ein Taxi zu bestellen, doch plötzlich vibrierte mein Handy, und ich atmete erleichtert auf. Vielleicht hatte ich ja überreagiert, und Alvarez schickte mir eine SMS, in der er mich anflehte zurückzukommen, weil er ohne mich verloren war.
Ich schob meine Hand in meine Tasche, und dann spürte ich mit einem Mal ein Brennen im Genick und hörte ein lautes Klirren, wie wenn ein Teller auf einen Fliesenboden fiel, das Krachen einer Wagentür, die ins Schloss geworfen wurde, und das Quietschen von Reifen auf dem überfrorenen Asphalt, bevor ich in vollkommener Dunkelheit versank.
Es fiel mir schwer, mich wach zu halten, obwohl ich erbärmlich fror. Ich hatte keine Ahnung, was geschehen war. Vielleicht hatte ich ja irgendwie den Weg zurück in mein Hotelzimmer gefunden und lag jetzt neben einem offenen Fenster auf dem Fußboden.
Aber auch als ich nach einer Weile wieder völlig zu mir kam, endete der Alptraum nicht. Ich war in einem dunklen Raum gefangen, konnte mich nicht bewegen und bekam nur mühsam Luft. Es gab keinen Orientierungspunkt außer einer Wand aus Dunkelheit. Ich versuchte es mit den gewohnten Tricks, zählte laut bis zehn und versuchte, mir zu sagen, dass mir nichts passieren könnte. Dieses Mal jedoch kehrte ich nicht mit trockenem Mund und wild klopfendem Herzen in die Wirklichkeit zurück. Der Alptraum hörte nicht auf, ganz egal, was ich auch tat. Etwas stimmte nicht mit meinem Körper. Vielleicht hatte ich ja einen Schlaganfall gehabt. Außer in Gedanken war ich blind und vollkommen gelähmt.
Ich konnte nicht sagen, woher genau die Schmerzen kamen. Sie flossen durch meinen Körper und breiteten sich allmählich in sämtlichen Gelenken aus.
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