Im Totengarten (German Edition)
einer Sessellehne lagen Frauenkleider, an der Tür hingen zwei Morgenmäntel, und in einer Vase vor dem Fenster nahm ich unter einer dicken Staubschicht die Konturen eines Straußes toter Chrysanthemen wahr. Sicher war die Luft so abgestanden, weil das Fenster schon seit Monaten nicht mehr geöffnet worden war. Offenbar war Alvarez nach Louisas Tod nie mehr in diesen Raum zurückgekehrt. Kein Wunder, dass das Schloss inzwischen eingerostet war.
Schließlich gab ich der Versuchung nach, mich auch noch in den Schränken umzusehen. Sie waren immer noch mit Kleidern und mit Schuhen vollgestopft, deren Größe nach Louisa noch kleiner und zierlicher als ich gewesen war.
Ich trat wieder in den Flur hinaus und zog die Tür des Raumes so sanft hinter mir zu, als läge sie noch immer dort im Bett und wäre nur kurz eingenickt. Flüchtig dachte ich an Morris Cley, der vom Geist der toten Mutter aus dem eigenen Haus vertrieben worden war.
Es gibt kein Wort dafür, wenn man auf einen toten Menschen eifersüchtig ist. Trotzdem stand ich mit gekreuzten Armen dort im Flur und wartete darauf, dass das Gefühl wieder verging. Wie sollte ich mich jemals mit Louisa messen, deren Bild in Alvarez’ Erinnerung so gründlich retuschiert und ausgebessert worden war, dass man daran nicht mal mehr den allerkleinsten Fehler bemerkte?
Unten sprach Alvarez in ernstem, eindringlichem Ton am Telefon. Mir war klar, ich sollte wieder runterlaufen und ihm dafür danken, dass er mir bei der Suche nach meiner Freundin half, doch am liebsten hätte ich mich sofort auf den Weg zurück in die Einfachheit meines Hotellebens gemacht. Es gab noch einen zweiten Stock, aber mein Drang, mich umzusehen, hatte sich gelegt. Ich wollte keine weiteren Geheimnisse enthüllen, und so kehrte ich ins Wohnzimmer zurück und trat vor den Kamin. Die Holzscheite, die Alvarez dort aufgeschichtet hatte, fingen langsam Feuer, und ich starrte in die Flammen, bis er mit einer zweiten Flasche Wein in der Hand wieder erschien.
»Mehr kann ich im Augenblick nicht tun«, erklärte er. »Ich habe ein paar Leute darauf angesetzt, und gleich morgen früh bringen die Nachrichten als Allererstes eine Suchmeldung heraus.«
Da ich einfach nicht die rechten Dankesworte fand, beugte ich mich vor und küsste ihn. Aus irgendeinem Grund wollte ich ihm meinen Streifzug durch die Zimmer oben beichten, aber als ich ihm erzählte, dass ich auch das Schlafzimmer gesehen hatte, spannte er sich an, als hätte einer von uns beiden etwas falsch gemacht.
»Mir würde es genauso gehen«, erklärte ich ihm ruhig. »Ich könnte auch nichts wegwerfen.«
Er starrte in den Kamin. »Es ist einfach schwierig, damit anzufangen, das ist alles. Inzwischen hätte ich damit schon längst beginnen sollen. Meinen Ehering zum Beispiel habe ich schon mehrmals abgenommen, aber irgendwie steckt er am Ende wieder an meinem Finger.«
Ich berührte seine Brust, spürte seinen Herzschlag unter meiner Hand, und als ich zu Boden sehen wollte, zerrte er an seinem Ehering, bis er von seinem Finger glitt, und legte ihn dann mitten auf den Tisch. Ein kleines Stück Metall, auf das das gelbe Licht der Flammen fiel.
»Ich nehme an, das ist schon mal ein Anfang«, murmelte er rau.
»Auf jeden Fall. Nur hoffe ich, du hast das nicht für mich getan.«
Seine Augen waren so schwarz und ausdruckslos wie eh und je, doch das Zucken seiner Mundwinkel sah wie der Anfang eines Lächelns aus, und ohne den Ring an seinem Finger fühlte es sich anders an, als er mich in die Arme nahm, irgendwie entspannter, als hätte endlich ein Geist den Raum verlassen, der bisher dauernd um ihn herum gewesen war.
Wir schafften es nicht mehr nach oben und versuchten es auch gar nicht erst. Das erste Mal ging furchtbar schnell – was an mir lag, nicht an ihm. Er sah mir ins Gesicht, während er mit seiner Hand über meinen Oberschenkel glitt, und mit angehaltenem Atem sah ich zu, wie er sein Hemd auszog. Doch ich hatte kaum Gelegenheit, mir seine straffe, muskulöse Brust genauer anzusehen, da er, seinen Blick auch weiter starr auf mein Gesicht geheftet, vor mir in die Knie ging und mir das Kleid über die Hüfte schob. Dann neigte er den Kopf, um mich zu küssen, und kaum war er in mich eingedrungen, kam ich auch bereits. Vielleicht lag es an der Anspannung, der langen Wartezeit oder einfach daran, dass ich ihn begehrte wie kaum jemals einen Mann zuvor.
»Tut mir leid«, murmelte ich.
»Da gibt’s nichts leidzutun.«
Er strich mir die Haare aus
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