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Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Antonow
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minutiös verplantes Leben kurz vor einem abrupten Ende stand. Tolik dagegen sah das Unheil kommen, denn er war jetzt ein Gott, ein körperloses Wesen, das über Moskau schwebte.
    Und auf einmal verdichtete sich die Luft so heftig, dass sie gläsern wirkte. Kurz darauf fegte eine unsichtbare, verheerende Druckwelle über die Stadt. Bäume wurden wie Streichhölzer geknickt, und sämtliche Scheiben barsten. Zurück blieben verwüstete Häuserblöcke, aus denen leere Fensterrahmen glotzten. Instabile Gebäude stürzten ein wie Kartenhäuser und begruben die Unseligen, die sich darin aufhielten, unter ihren Trümmern.
    Autos wurden wie Spielzeug durch die Luft geschleudert, stießen zusammen und rutschten auf die Bürgersteige, wo sie unter umstürzende Beleuchtungsmasten gerieten. Minutenlang versprühten beschädigte Stromleitungen ein Feuerwerk aus blauen Funken. Die grellen Farben verblassten rasch.
    Nun sah Tolik die Metro . A uch sie veränderte sich. Zuerst blieben die Züge stehen. Dann erlosch das Licht in den Tunneln und Bahnsteighallen . A ls es wieder anging, war es nicht mehr elektrisch. Schummrige, orange Lichter beleuchteten die reglos verharrenden Züge.
    Überall tauchten Menschen auf. Doch sie sahen völlig anders aus als zuvor an der Oberfläche. Ein allgegenwärtiger grauer Staub, der in jede Ritze drang, hatte ihre Kleider und Gesichter entfärbt. Die Bewohner der Metro irrten von Station zu Station auf der Suche nach einem besseren Leben . V iele wurden von den dunklen Tunneln verschluckt. Diejenigen, die ihr Ziel erreichten, waren enttäuscht und setzten die endlose Reise unter der Erde fort.
    Die Stationsbezeichnungen hatten sich verändert . A nstelle des M befanden sich nun andere Symbole in den Kreisen: der braune Ring der Hanse, die rote Fahne der Kommunisten, das dreiarmige Hakenkreuz des Reichs und das Pentagramm der Satanisten.
    Tolik suchte nach der Station Lubjanka . Sie war durch ein Auge symbolisiert: eine schwarze Pupille, die von einem silbrigen Hof umgeben war. Im Unterschied zu den anderen Symbolen pulsierte das Auge des Professors Korbut und sog die Energieströme benachbarter Stationen in sich auf. Es fraß die Lebenskräfte der Metro, um sie zu einem grauenvollen Cocktail zu vermischen und dann wieder in die Tunnel zu spucken.
    Das Letzte, was Tolik sah, bevor er aus den Untiefen des Albtraums emporstieg, waren die Kreaturen, die die Oberfläche in Beschlag genommen hatten. Schwarze und graue Schatten huschten über Halden zerbrochener Ziegel, Betontrümmer und rostige Stahlgerippe …
    Noch im Halbschlaf spürte Tolik, dass ihn jemand an der Schulter rüttelte.
    »He, Tomski, genug geratzt!«, schrie Arschinow direkt in sein Ohr. »Du schläfst schon fünf Stunden. Ich bin nicht hier, um dir beim Pennen zuzugucken!«
    Tolik setzte sich auf, rieb sich die Augen und gähnte. Der Fähnrich und Krabbe hatten bereits gepackt. Die Ausrüstung hatten sie in großen Rucksäcken mit Aluminiumrahmen verstaut. Während sich Tolik mit dem Restwasser aus dem Wasserkocher den Schlaf aus dem Gesicht wusch, warf der Fähnrich noch einen Blick auf die Karte und steckte sie in seinen Rucksack.
    Der Rückweg zur Belorusskaja verging für Tolik wie im Flug.
    Er schwieg die meiste Zeit und dachte über den bevorstehenden Trip an die Oberfläche nach. Und über das, was ihn wohl in Korbuts Labor erwartete.
    Jelena tauchte vor seinem inneren Auge auf. Ob sie noch dort war? Hegte sie immer noch die naive Hoffnung, bei der letzten Fahrt der mysteriösen Metro-Dampflok im Führerhaus zu stehen? Oder hatte sie sich damit abgefunden, als Bettvorleger eines widerlichen Fettsacks zu enden?
    Nein. Ein Mädchen wie sie würde es niemals zulassen, betrogen und benutzt zu werden . A ber was war dann mit ihr passiert? War sie geflohen? Hatte man sie ins Gefängnis gesteckt? Hatte Nikita sie vergewaltigt und sie sich dann umgebracht? Oder hatte Jelena Nikita getötet?
    Je länger Tolik darüber nachdachte, desto mehr lief seine Fantasie aus dem Ruder.
    Er hatte sich tatsächlich verliebt.
    Natürlich lebte er an der Guljaipole nicht wie ein Mönch. Bei der Initiation anarchistischer Kämpfer ging es ohne Frauen nicht ab. Doch er hatte keine Liebe empfunden, sondern nur Sex gehabt. Einfach so, zum Vergnügen und um sich abzureagieren.
    Jelena stand auf einem völlig anderen Blatt.
    Aber was, wenn sie Nikita nachgegeben hatte? Nein, freiwillig würde sie sich niemals auf ihn einlassen … Mit diesem Widerling …

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