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Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Antonow
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Hand war zur Faust geballt, die andere geöffnet. Mit seinem schwarzen Anzug und der weiß gepunkteten Krawatte sah Lenin aus, als wäre er nach einem anstrengenden Arbeitstag auf dem Sofa in seinem Büro eingeschlafen.
    Inzwischen war der Zug in die Station Dserschinskaja eingefahren . A m Bahnsteig standen vier Soldaten der Ehrenwache, die sich unterhielten und ausgelassen lachten. Sie trugen Rote-Armee-Uniformen aus den Zwanzigerjahren mit blauen Strelitzenaufnähern auf den Feldblusen und hatten Budjonowkas mit rotem Stern auf dem Kopf.
    Als Arschinow ihre bajonettbestückten Mosin-Nagant-Gewehre sah, grinste er zufrieden und streichelte zärtlich über den Schaft seiner geliebten Kalaschnikow. Die Rotarmisten waren wohl nicht für einen Kampfeinsatz vorgesehen, sondern eher als Staffage für eine feierliche Inszenierung gedacht.
    Trotzdem war es höchste Zeit, der Maschine Beine zu machen. Tolik schaute sich genauer im Führerstand um und zog ein langes Gesicht. Mit einer solchen Vielzahl an Steuer- und Kontrollgeräten hätte er bei dem vorsintflutlichen Eisenmonster nicht gerechnet. Der enge Raum war gespickt mit Handrädern, Hebeln, Druckmessgeräten und Wasserstandsanzeigern. Wie sollte man da den Durchblick behalten?
    Tolik sah rasch ein, dass er Jelena um Hilfe bitten musste, obwohl sie schwer verletzt war und Blut hustete . A ndernfalls würde ihre Fahrt bereits hier, an der Dserschinskaja , zu Ende gehen.
    Die junge Frau rappelte sich mühsam auf und machte sich mit zittrigen Händen an den Geräten zu schaffen. Sie drehte am Dampfregler und zog an einem Griff, der an einer Kette hing. Es ertönte ein markerschütternder Pfiff.
    »Geht’s nicht ein bisschen diskreter?!«, erkundigte sich Arschinow, der Mühe hatte, das laute Zischen des Dampfs zu überschreien. »Wir fliegen doch sofort auf!«
    »Geht nicht anders«, entgegnete Jelena kopfschüttelnd. »Sonst fliegt der Kessel in die Luft. Und jetzt – vorwärts …«
    Die Dampfmaschine fauchte, und die Treibstangen ächzten. Zuerst drehten die Räder quietschend durch, doch dann griffen sie, und der Zug fuhr an. Majestätisch rollte er auf den Tunnel zu und wurde allmählich schneller.
    Die Soldaten mit ihren Budjonowkas schauten dem abfahrenden Zug perplex hinterher . A ls sie endlich begriffen hatten, was gespielt wurde, eröffneten sie das Feuer und zielten auf den Führerstand. Die Scheiben barsten und flogen aus den Rahmen . A rschinow beugte sich aus dem Fenster und feuerte einhändig eine lange Salve zur Abschreckung ab.
    Tolik stellte sich schützend vor Jelena. Die Soldaten der Ehrenwache nahmen di e Verfolgung auf und feuerten aus vollem Lauf. Zum Glück waren ihre Gewehre nicht gerade für eine hohe Feuerrate bekannt. Die Rotarmisten mussten immer wieder stehen bleiben, um nachzuladen. Bei dieser Art zu schießen konnte von Zielgenauigkeit natürlich keine Rede sein.
    Einige Querschläger trafen den Sarkophag. Der war jedoch aus Panzerglas gefertigt. Die Bleikugeln der altertümlichen Schießprügel konnten ihm nichts anhaben.
    »Wer wird denn auf den alten Opa schießen?!«, spottete Arschinow.
    Jelena öffnete den Dampfregler bis zum Anschlag. Keuchend tauchte die Lokomotive in den schwarzen Schlund des Tunnels ein.
    Arschinow schnappte sich eine Schaufel und dicke Heizerhandschuhe und begann, die Feuerbüchse mit Nachschub zu versorgen. Lustig tanzten die Flammen auf den weißglühenden Kohlen. Die Tachometernadel rutschte über die Zehner-Marke, und die Dserschinskaja verschwand allmählich in der Ferne. Immer schneller fuhr der Zug in Richtung Prospekt Marxa .
    Korbut saß blass und verängstigt am Boden des Führerstands. Tolik dagegen war bester Laune und steckte den Kopf aus dem Fenster. Wohltuend kühl strömte ihm Fahrtwind übers glühende Gesicht. Kein schlapper Luftzug, wie er sonst durch die Tunnel wehte, sondern ein richtiger, kraftvoller, schneidender Wind.
    Die zunehmende Geschwindigkeit hatte allerdings auch einen Nachteil: Durch die Gegenbewegung des Zugs wirbelten zunehmend Verbrennungsgase in die Kabine und verpesteten die Luft. Beim Anblick, der sich am Prospekt Marxa bot, war diese kleine Unannehmlichkeit jedoch rasch vergessen.
    Als die Dampflok mit Getöse in die Station einfuhr, zerriss sie ein quer über das Gleis gespanntes, rotes Band. Das Empfangskomitee lächelte selig und winkte mit Papierblumen.
    Doch der Trauerzug hielt nicht an! Chaos brach aus. Ein ehrenwerter Herr, der fast genauso gekleidet war wie die

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