Im Visier des Todes
halbwegs attraktiven Mädchen, die Model-Ambitionen pflegten. Céline hatte zumindest Potenzial.«
»Um was für ein Shooting ging es dabei genau?«
»So viele Fragen … « Elinor seufzte auf, faltete die Hände und lächelte in ihrer lieblichsten Manier, von der man fast einen Zuckerschock bekam. »Keinen Früchtetee also. Einen Kaffee vielleicht? Kommen Sie, wir haben einen wunderbaren brasilianischen Kaffee hier – eine wahre Hymne auf alle koffeinhaltigen Getränke.« Schon wirbelte die Studiomanagerin herum und tippelte den Korridor entlang.
Der Kaffee war rasch getrunken. Auf dem Weg nach draußen betrachtete Leah die Fotos im Flur. So schön wie die Motive dieser Bildergalerie wollten ihre Gedanken sich nicht aneinanderreihen. War bei dem seltsamen Shooting etwas schiefgelaufen, was die Eingeweihten jetzt zu vertuschen versuchten? Sie blieb vor dem Foto mit der Kommodenschublade stehen. Irgendjemand hatte ihren Handabdruck fortgewischt.
Ein interessantes Bild. Ein ungewöhnlicher Blickwinkel. Das Möbelstück schien einen eigenen Charakter zu zeigen, etwas, das sich weigerte, sich jeder Einrichtung zu beugen.
Dann sah sie es.
»Céline!«
Die klobige Kommode im Schlafzimmer ihrer Schwester. Dieselbe grüne Farbe, an mehreren Stellen von unzähligen Berührungen abgerieben. Also doch – Kay Gordon, der Fotograf, der mysteriöse Freund.
Leah wurde flau im Magen. Was führte er jetzt im Schilde? Was … was hatte er mit ihr vor? Er wusste, wer sie war, vermutlich auch, was sie vorhatte, und wollte sie trotzdem in seinem Studio einstellen.
Sie raffte ihre Sachen zusammen, stolperte nach draußen, schluckte die graue Luft und den Regen, bis sie vor Kälte nichts mehr fühlte, nicht einmal ihren eigenen Körper. Sie musste diesen Nick finden. Irgendetwas wusste er und war vielleicht gerade deswegen entlassen worden.
Die U-Bahn ratterte über ihre verschlungenen Wege, die feierabendmüden Menschen drängten sich in die Waggons. Erst zum Stadtrand hin lichteten sich die Mengen, doch auch dann schaffte Leah es noch, mit jemandem zusammenzustoßen, als sie aus dem Bahnhof zur Bushaltestelle lief. Für ihr verspätetes » ’tschuldigung! « fand sie kein Gehör. Wen auch immer sie angerempelt hatte, war schon in den Tiefen der Station verschwunden.
Der Bus brachte sie so nah wie möglich an ihr Zuhause, den Rest ging sie zu Fuß. Es war inzwischen dunkel; zu dieser Jahreszeit raubte die Dämmerung schon früh die Munterkeit des Tages. Der schläfrige Frieden der Siedlung, die beleuchteten Fenster der Einfamilienhäuser und die Einwohner, die hier und da bereits am Esstisch saßen, schenkten ihr jedoch ein Gefühl des Wohlbehagens. Nein, an diesem Ort passierte nie etwas Schlimmes. Das Schlimme gehörte in die Welt, die mit ihrem Schein von Schönheit und Ruhm naive Mädchen fortlockte, hinter Türen, die jemand mit » Fuck « besprühte.
Nach der nächsten Hecke wartete schon die heimische Gartenpforte.
Leah löste die um ihren Körper verkrampften Arme, zwang sich, an den heutigen Bürotag und die vielen Telefonate zu denken, an das Plauderkäffchen mit dem Chef, ihre Kollegin, die ausgerechnet in dem Augenblick vorbeigekommen war und sich anscheinend sonst was ausgemalt hatte. Bloß nicht an den Besuch des Fotostudios. Die Mutter saß bestimmt wie jeden Abend in der Küche, heute sicherlich mit der bangen Frage: Wo warst du, Leah? – Nur etwas länger gearbeitet, mach dir keine Sorgen. – Es ist schon so spät. Im Kühlschrank ist noch etwas Essen, mach es dir warm. – Ja, Mutter.
Rechts von ihr eine Bewegung. Leah fuhr herum.
Eine Gestalt löste sich von einem Baum und kam auf sie zu, in eine Jacke gehüllt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Sie sah die feinen Atemwölkchen, die sich in der Dunkelheit auflösten, hörte ihren Namen. »Leah. Leah!«
Ihre Hand tastete nach dem Torriegel, sie zerrte daran, rüttelte an dem Griff.
»Leah. Ich bin’s.«
Mitten in der Bewegung hielt sie inne. »Poul!«, keuchte sie.
»Sorry. Wollte dich nicht erschrecken.« Er öffnete die Arme, drückte sie an sich und rieb ihr mit beiden Händen den Rücken warm. Sie schloss die Augen und nahm einen Hauch von Minzschokolade wahr. Es tat gut, in dieser Umarmung zu sein, trotz des Unausgesprochenen, das sie seit Tagen umtrieb. Und gegen jede Vernunft fühlte sie eine ganze andere Umarmung – die von Kay Gordon. Die Angst vor ihm und gleichzeitig die Faszination. Brauchte sie wirklich diesen Nervenkitzel, um
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