Im Visier des Todes
da. Vermutlich lachen Sie nur darüber.«
»Nein, keineswegs. Wir hatten früher einen Hund. Rocky. Einen Miniaturbullterrier. Stiefpapa war ganz vernarrt in ihn. Aber der Kleine ist nur fünf Jahre alt geworden; er muss Rattengift vom Nachbargrundstück gefressen haben. Hat sich noch zu Stiefpapa ins Schlafzimmer geschleppt und ist dort verendet.«
»Schrecklich. Aber einen Menschen zu verlieren, der einem nahe steht – das würde mich zerbrechen.«
»Das hat es meine Mutter auch. Sie konnte es nicht begreifen, dass er einfach aufgehört hatte zu essen, machte sich stets Vorwürfe, was sie falsch gemacht hat. Ich glaube, sie hat es ein wenig als Verrat empfunden, dass er beschlossen hat zu gehen, nachdem sie ihn so lange rund um die Uhr gepflegt hatte. Sie war vollkommen am Ende. Es hat mir richtig Angst eingejagt. Ich musste wieder bei ihr einziehen. Erst in der letzten Zeit ging es ihr besser. Ich dachte, ich könnte vielleicht wieder ein eigenes Leben beginnen … Aber dann … « Sie nahm einen Schluck Kaffee, dann noch einen und noch einen, aber kaum etwas davon wollte durch ihre verengte Kehle passen. Nur mit Mühe würgte sie das bittere Gebräu hinunter.
»Aber dann wurde Ihre Schwester ermordet.«
Leah schlug sich die Hand vor den Mund. Ihr Magen rebellierte. Gegen den Kaffeegeschmack, sogar gegen den Duft von Elinors Puder, mit dem die Managerin ihrem Gesicht den bräunlichen Teint verlieh. »Jetzt liegt es an mir, uns beide über die Runden zu bringen.«
Die Studiomanagerin tätschelte ihre Hand. »Bringen Sie sich dabei bloß nicht um, meine Liebe! Diesen Verlust würden wir alle doch sehr bedauern.«
Leah hob den Blick. Ein kalter Schauer überlief sie. Diese Augen gegenüber erinnerten sie an Rosinen. Etwas Mattes, Verschrumpeltes lag darin. Eine versteckte Warnung in einem gut gemeinten Rat?
Die Frage beschäftigte sie noch länger. Im Büro ließ Elinor sie nie ohne Aufsicht, und auch sonst schien die Präsenz der Managerin sie auf Schritt und Tritt zu begleiten. Manchmal glaubte Leah, die Frau lebte in diesem Studio, ernährte sich ausschließlich von brasilianischem Kaffee und ginge nie aufs Klo. Was zumindest die Wassereinlagerungen in den Beinen erklärt hätte.
Den Ordnern in den Regalen konnte Leah nur verstohlene Blicke zuwerfen, und es sah nicht danach aus, als bekäme sie je eine Gelegenheit, die Adresse dieses Nick ausfindig zu machen – oder überhaupt irgendeine Spur aufzunehmen, die zu ihm und seiner Verbindung zu Céline führte. Da konnte sie sich cinderellamäßig totputzen, ohne jegliche Aussicht auf eine gute Fee oder helfende Eichhörnchen und Täubchen. Vielleicht lag es daran, dass sie nicht singen konnte. Beziehungsweise nur in Begleitung eines Staubsaugers.
Vermehrt hielt Leah nach Plätzen Ausschau, wo sie unentdeckt bleiben würde, bis alle gegangen waren. Nur bestand Elinor stets darauf, sie zu verabschieden und zu warten, bis sie die Treppe hinaufgestiegen war, um dann die Tür zuschnappen zu lassen. Manchmal begleitete die Managerin sie bis zur U-Bahn. Daher glaubte Leah nicht wirklich an einen Erfolg, als sie eines Abends die Schlossfalle mit einem Klebeband fixiert hatte und am Ende ihrer Runde von der Managerin in die Nacht gelächelt wurde: »Bis zum nächsten Mal.«
»Schönen Abend noch, Elinor.« Sie zählte die Stufen und achtete darauf, weder zu schnell noch zu langsam zu laufen und vor allem nicht zu stolpern. Oben angelangt sah sie zu, wie die Studiomanagerin ihr noch einmal zuwinkte und die Tür hinter sich zuzog. Die Schritte entfernten sich. Einen Spalt, nur ein Haar breit, blieb die Tür geöffnet. Ein verheißungsvoller Start für eine kriminelle Karriere.
Leah beschloss, ein Weilchen abzuwarten und solange einen Spaziergang zu machen. Im Dunkeln schien der Kies unter ihren Füßen zu lärmen, jeder Schritt ein Verrat. Sie steckte die Hände tiefer in die Manteltaschen und schöpfte ein wenig von ihrer eigenen Wärme. Die Silhouetten der umliegenden Gebäude wirkten wie Bauklötze, die jemand achtlos hingeworfen hatte. Ein Maschendrahtzaun versperrte ihr den Weg. Sie drehte sich um, schlenderte durch die Höfe und Gassen, an den vielen Abfallcontainern vorbei.
Ihr Handy sandte einen munteren Signalton in die Nacht. Im Keller hatte sie stets einen schlechten Empfang, weswegen alle Nachrichten sie erst später erreichten. Hastig zog sie das Telefon aus der Seitentasche, schaltete es stumm und warf einen Blick auf die SMS . » Wo bleibst du? Das
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