Im Visier des Todes
merkte.
Ohne Zeit zu verlieren, griff sie zum erstbesten Ordner, schlug ihn auf und sah ihn durch. Rechnungen. Der nächste enthielt Verträge. Noch einer – tja, das würde eine lange Nacht werden.
Sie war in ihre Suche vertieft, als sie stockte und über die Schulter schaute. Sie hatte nichts gehört, es war allein dieses Gefühl, beobachtet zu werden. Der Raum kam ihr zu still vor, die Dunkelheit hinter ihr – wie aus fremden Schatten gewoben.
Sie holte einen weiteren Ordner, studierte die ersten Seiten und blickte wieder zum Flur.
Niemand war da, absolut niemand.
Den Schlüsselbund fest umschlossen, stand sie auf und ging durch das Studio. Ab und zu roch sie Elinors Parfüm, die luftig leichte Frische, die in den Räumen schwebte. Manchmal hielt sie inne und glaubte, Kays Duft wahrgenommen zu haben, den warmen Geruch seiner Haut, so nah, dass sie seine Gegenwart spürte und eine Gänsehaut bekam.
Langsam drehte sie sich um die eigene Achse.
Die Treppe am Ende des Flurs, die Tür mit dem milchigen Ornamentglas, das wie fließendes Wasser aussah – ein Schatten dahinter. Auf unsicheren Beinen stieg sie die Stufen hoch. Der Schatten war verschwunden. Vielleicht hatte auch das Ornament sie getäuscht. Elinor hatte ihr nie erzählt, was dahinterlag. Sie probierte die Schlüssel aus, doch keiner passte, drückte schließlich ein Ohr an das kühle Glas.
Atem.
Ihr eigener.
»Überzeugt?« Sie richtete sich auf. »Es ist niemand da. Also mach endlich weiter, umso schneller bist du hier raus.«
Okay. Eine Tasse Kaffee könnte sie sich gönnen.
Sie mahlte die Bohnen per Hand, wie Elinor es immer tat, und schaltete die Maschine ein. Solange es röchelte und blubberte, ging sie ins Büro und setzte sich an die Arbeit. Noch immer hatte sie keine Unterlagen über die Mitarbeiter entdeckt, und langsam beschlich sie der Verdacht, dass diese Informationen im Computer gespeichert waren. Bei dem sie mit ihren spontanen Hackerfertigkeiten nicht einmal an dem Passwortschutz vorbeikommen würde.
Nach einer Weile kehrte sie zur Kaffeemaschine zurück. Eigentlich war sie davon überzeugt gewesen, eine doppelte Menge zubereitet zu haben, doch als sie ihren Becher füllte, blieb in der Kanne ein kläglicher Rest, der kaum den Boden bedeckte.
Sie stöberte weiter in den Studiounterlagen und nippte ab und zu an dem Kaffee, der ihr half, die Lider offen zu halten. Als sie endlich auf das Gesuchte stieß, hätte sie es trotz des Muntermachers beinahe übersehen.
Kein Nick, aber ein Nicholas Milla.
Sie tastete nach Zettel und Stift und kritzelte die Adresse nieder. Geschafft. Den Ordner zuschlagen, in das Regal zurückstellen – pflichtbewusst sah sie über die Schulter, zum letzten Mal, bevor sie …
Im dunklen Flur zeichnete sich eine Silhouette ab.
Der Ordner polterte auf den Boden. Sie fuhr herum. Vor ihr ragte ein Mann auf, der sich bedrohlich langsam auf sie zubewegte. Panisch drückte sie sich gegen den Tisch. Hinter ihr befanden sich Regale, die Wand, keine Möglichkeit zu entkommen.
Und vor ihr – Kay Gordon.
»Was machen Sie hier?«, hauchte sie, den Bleistift wie eine Waffe erhoben – der neuste wunderbare Einfall des Tages. Sie sah auch schon die Schlagzeile vor sich: Attraktiver Modefotograf mit Bleistift totgepikst.
»Was ich hier mache? In meinem eigenen Studio?« Er kam noch näher, während das Licht und die Schatten sein Gesicht mal erbarmungslos hart zeichneten, mal seine Züge so vertraut formten. »Ich wohne direkt hier drüber. Habe Geräusche gehört und bin runtergekommen. Anscheinend rechtzeitig, um einen Einbrecher zu stellen. Oder … « Er beugte sich zu ihr, sodass seine Wange fast die ihre berührte. »Ich bin neugierig. Im richtigen Licht ist Ihr Treiben hier – was bitte schön?«
Sein Atem an ihrem Hals. Sie hörte, wie der Bleistift zu Boden fiel und davonrollte.
»Aber danke für den Kaffee.« Er stellte den Becher auf dem Tisch ab. Jetzt keilten seine Arme ihre Hüften ein und raubten ihr das letzte bisschen Freiheit.
»Sie werden mich nicht einschüchtern!« Sie bog ihren Oberkörper zurück, so weit es ging, bis ihr Becken unwillkürlich gegen seinen Unterleib stieß und sie mehr als deutlich seine Männlichkeit spürte.
Doch er wich keinen Millimeter von ihr.
»Sicher nicht?«
Sie sah ihm in die Augen. Das Licht der Tischlampe brannte ihr im Nacken. Angst durchfuhr sie wie ein zuckender Strom, bis in ihren Schoß. Alles in ihr zog sich zusammen, der Magen, das Herz, die
Weitere Kostenlose Bücher