Im Visier des Todes
auch keine Céline. Viele der Mädchen schienen Künstlernamen zu haben, daneben standen ihre richtige Identitäten mit der letzten bekannten Adresse und der ihrer Verwandten, knappe Vitas und nicht sonderlich lange Angaben zu ihrer beruflichen Laufbahn.
Der Bus erreichte die Endhaltestelle. Leah klemmte sich die Mappe unter den Arm und rüttelte Thessa an der Schulter. »Aufwachen! Wir sind schon da.«
Thessa streckte die Beine, rekelte sich und kam ungelenk hoch. »Schon?« Verschlafen sah sie sich um. »Du bist gut. Es war nie die Rede davon, das Land zu verlassen.«
»Keine Sorge. Zum Auswandern haben wir noch einen langen Marsch vor uns, betrachte es als einen Zwischenstopp. Kanntest du eins der Mädchen, die hier aufgeführt sind?«
»Die Suzanna. Aber kennen ist zu viel gesagt.«
Unter einer Straßenlaterne verlangsamte Leah den Schritt und schlug die Mappe erneut auf. »Da ist sie. Ihr Vater ist ein Bauer, stimmt’s?«
»Die typische Geschichte eben: Ein naives Landei kommt in eine Großstadt und will ganz nach oben. Sie ist vom Hof weggelaufen, meinte einmal, ihr Vater hätte nicht einmal bemerkt, dass es sie nicht mehr gab.«
»Meinst du, sie könnte uns vielleicht ein paar Fragen beantworten?« Leah überflog die Seite. »Aktueller Aufenthaltsort unbekannt, steht hier.«
»Ich habe schon Ewigkeiten nichts mehr von ihr gehört. Vielleicht war das Model-Leben zu hart für sie, und sie ist zu ihren Kühen zurückgekehrt. Ach, und Maria, die kannte ich auch ein bisschen.«
»Maria Rojas?«
»Genau. Ich glaube, sie hat südamerikanische Wurzeln, stammt aus einer großen Flüchtlingsfamilie, die illegal eingewandert ist. Jedenfalls: Sie ist auch schon lange von der Bildfläche verschwunden.«
Leah blätterte zu dem Namen. »Aktueller Aufenthaltsort: unbekannt.«
Doch ein Stück darunter: Chiquita – Fragezeichen. Perles d’Or – Fragezeichen. Und: » evtl. ein leichtes Ziel « . Leah merkte, wie sie zu frieren begann.
»Vielleicht wurde sie von den Behörden ausgewiesen«, fuhr Thessa fort. »Armes Mädchen. Sie hatte immer solch eine schreckliche Angst davor.«
»Was bedeutet › Perles d’Or ‹ ?«
Thessa blickte ihr über die Schulter. »Perles. Also Perle vielleicht? Ich würde auf eine Modelinie tippen. La Perla ist zum Beispiel eine italienische Dessous-Marke. Hab mich wohl geirrt, sie läuft anscheinend doch nur unter einem anderen Künstlernamen.«
»Hier sind etliche Personen aufgeführt, die unbekannte Aufenthaltsorte haben.«
»Findest du es nicht seltsam, dass der Typ so eine Akte über diese Mädchen führt? Glaubst du, er ist ein Stalker?«
»Jedenfalls muss es einen Grund geben, warum er das hier zu verstecken versucht hat.« Leah schlug die Mappe zu. Über die Sache würde sie später nachdenken müssen. Womöglich würde es ihr gelingen, eine der jungen Frauen aus der Liste ausfindig zu machen und mit ihr über Nick zu reden. Jetzt sollte sie sich nichts anmerken lassen. Sie kam von der Arbeit nach Hause, brachte eine Freundin mit, mehr nicht.
»Wir sind da.« Sie hielt vor der Gartenpforte an. »Ich weiß gar nicht, wie ich es dir erklären soll. Meine Mutter verhält sich manchmal ein wenig seltsam. Das irritiert die Leute, sie merkt es, und irgendwann eskaliert die Situation. Versuch, sie so normal wie möglich zu behandeln, ganz egal, was für Merkwürdigkeiten sie von sich gibt. Okay?«
Sie fühlte, wie Thessa ihr eine Haarsträhne aus der Stirn strich. »Keine Sorge. Sie wird kaum merken, dass ich da bin. Ist sie … nach Célis Tod so geworden?«
»Eigentlich schon nach dem Schlaganfall meines Stiefpapas. Mal geht es besser, mal schlechter. Es ist nicht einfach.«
»Nicht einfach, das verstehe ich gut, glaub mir.« Noch einmal strich Thessa ihr über das Gesicht.
Leah trat zurück, tastete nach dem Riegel und machte das Tor auf. »Ja. Dann … dann komm mit.«
Viel zu hastig stolperte sie den Kiesweg entlang und kramte in ihrer Tasche nach den Schlüsseln. Im Flur angelangt, schaltete sie das Licht an und lauschte. Das Haus antwortete mit der gewohnten Stille. »Vermutlich schläft sie schon.«
Thessa machte die Tür hinter sich zu und senkte die Stimme. »Kann ich mich bei dir vielleicht duschen?« Das Flüstern klang beinahe sinnlich und keinesfalls jugendfrei.
»Klar.« Leah wandte sich ihr zu und taumelte zurück, als sie gegen Thessas Busen stieß. »Ich mache das Bad fertig und organisiere uns etwas zu essen.«
»Du bist so nervös. Keine Sorge, ich
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