Im Visier des Todes
Tür. »Mutter?« Sie trat nach draußen, ging um den Stuhl herum, um sich zu vergewissern, dass es tatsächlich ihre Mutter war und nicht bloß ein Stillleben. »Mom? Was machst du da? Wie lange sitzt du schon draußen?«
Ihre Mutter ächzte. Es raschelte, die Plastikfüße des Stuhls schabten über die Betonplatten. Ihre Mutter klopfte mit der flachen Hand auf die Sitzfläche der Gartenbank, die über Eck neben ihr stand. »Es ist ein so schöner Abend. Komm, lass uns ein wenig reden. Siehst du den Mond?«
»Nein … «
»Ich auch nicht. Schade, dass es so viele Wolken sind.«
»Ich meine: Nein, lass uns lieber reingehen. Es ist kalt.«
»Zieh dir etwas an.«
»Bitte komm mit mir rein. Ich habe jemanden mitge…«
»Eine Freundin? Ja, ja, ist gut. Setzt dich neben mich. Du bist immer bei der Arbeit oder … sonst wo. Wann haben wir das letzte Mal ein Mutter-Tochter-Gespräch geführt?«
Leah schielte zum Wohnzimmer. Thessa erwiderte ihren Blick und zuckte mit den Schultern.
»Okay. Lass uns ein wenig reden. Aber dann gehen wir rein, in Ordnung?«
»Aber selbstverständlich, Kleines.«
»Na gut.« Sie nahm Platz.
»Hier, nimm wenigstens die. Kuschel dich ein.« Die Mutter zog die Plane vom Tisch. »Ist es nicht ein schöner Abend? Oh! Ich habe dich gar nicht gefragt, wie dein Tag war. Wie war denn dein Tag, Liebes?«
Leah verstaute die Plane neben der Gartenbank. »Ich hatte einen Termin in dem Krankenhaus, in dem du einmal gearbeitet hast. Weißt du noch, kurz vor Stiefpapas Tod? Zufällig habe ich … «
»Poul hat mir erzählt, dass du dich immer noch mit diesem Mann triffst. Kay, richtig?«
»Das geht Poul nichts an.« Sie sah auf die dunklen Umrisse des Baumes mit der halb abgerissenen Schaukel. Hoch mit dem Wind … Mit Kay gab es das » Hoch mit dem Wind « auch für sie und dieses Durcheinander von Gefühlen, zwischen berauschendem Glück und steter Angst. »Jedenfalls habe ich heute jemanden von deiner damaligen Station gesprochen.«
»Dieser Mann ist gefährlich, Leah.«
»Jetzt versuch doch nicht, das Thema zu wechseln!« Die Kälte durchfuhr ihre Brust. »Ich muss mit dir reden. Und es geht um etwas sehr Ernstes. Gestohlene Medikamente? Ist das wahr?«
»Du bist doch diejenige, die das Thema wechselt!«
Der entrüstete Blick der Mutter.
Leah atmete tief durch. Sei geduldig. Sie ist deine Mutter. Und sie braucht Hilfe . »Ich habe keine Ahnung, wie ich das vorsichtig angehen soll, ich habe wirklich keine Ahnung.« Sie legte eine Hand auf den aufgebauschten Jackenärmel ihrer Mutter, der jede Berührung pufferte und zurückwies. »Deine Stimmungsschwankungen, diese seltsamen Gefühlsausbrüche – wir brauchen jemanden, der uns sachkundig beistehen kann. Denn allein weiß ich nicht mehr weiter.«
»Einen Psychiater?« Die Mutter zog den Arm von der Lehne. »Lass mich raten. Das hat dir dieser Kay in den Kopf gesetzt, richtig? Nein, sag nichts. Ich sehe schon. Nun, er muss es ja wissen. Erfahrungen mit Seelenflickern hat er zur Genüge gemacht.«
»Bitte?«
»Du wolltest wissen, was ich gegen ihn habe?« Die Mutter kramte in ihrer Jacke und warf Leah ein paar zusammengefaltete Blätter zu. »Das hier!«
»Was ist das?« Ihre Finger fühlten sich steif an, als sie die Zettel glättete und die Überschriften unter der Insektenschutzlampe zu entziffern versuchte. Lauter Kopien von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln.
Jeder Tag, als gäbe es keinen danach: Das Leben eines Modefotografen
Verschwendungssucht oder Leidenschaft? Ein Starfotograf kauft den teuersten Oldtimer
Selbstmordversuch – hat der unglaubliche Erfolg ihn dazu getrieben?
Die Zeilen verschwammen vor ihren Augen. »Mutter, was soll das alles?«
»Das ist das wahre Gesicht deines Kay Gordon.«
»Genug jetzt.«
»Nein, es ist noch lange nicht genug! Er ist psychisch labil, Leah, hörst du mich? Du hast keine Ahnung, was für Abgründe in ihm schlummern, während du in seinen Armen kuschelst. Du kannst dir nicht einmal vorstellen, wozu er fähig ist.«
»Wo hast du das Zeug her? Von Poul?« Ihre Faust verkrampfte sich um die Blätter in ihrem Schoß.
»Poul will dir nur Gutes.«
»Lass mich in Ruhe! Lass mich in Ruhe, und richte Poul dasselbe aus!« Sie sprang auf, stieß die Terrassentür auf und lief ins Wohnzimmer.
Die Mutter kam hinterher.
»Leah!«
In ihrem Rücken hörte sie die schweren Schritte, die in ihrem Kopf mit einem dumpfen Schmerz widerhallten.
»Bleib sofort stehen, junge Dame!«
Sie fuhr
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