Im Visier des Todes
herum und warf der Mutter die zerknüllten Blätter vor die Gummistiefel. »Es ist mir egal, was irgendwelche Zeitungen über ihn schreiben, hörst du? Es ist mir egal!«
»Ist dir auch egal, dass er diese Fotos von Céline gemacht hat? Dass er dich vielleicht entführt hat … «
»Das hat er nicht! Ich habe die SMS des Täters auf seinem Handy gesehen.«
»Ach, komm schon! Du weißt selbst, wie leicht es ist, so etwas zu manipulieren. Ja, ich habe nachgeforscht, Leah. Weil ich Angst um dich habe. Was auch immer er im Schilde führt – eine Tochter hat er mir bereits genommen. Ich werde nicht zulassen, dass er mir auch die zweite nimmt.«
»Hör auf!«
»Wusste ich doch, dass du uns nicht glauben würdest. Dass … «
»Schluss jetzt!«, schrie Leah, rannte an Thessa vorbei in den Flur hinaus, die Treppe hoch, in ihr Zimmer. Sie hatte das Gefühl zu ersticken. In den eigenen vier Wänden, die ihr so fremd wie noch nie waren.
Mit zitternder Hand holte sie aus der Tasche ihrer Jeans das Handy. Sie suchte in der Anrufliste nach seinem Namen, bis Tränen ihren Blick verschleierten. Sie konnte nichts mehr erkennen, fuhr sich mit dem Ärmel über die Augen. Sah trotzdem nichts. Weil die Tränen geschwind nachkamen, sobald sie sie fortwischte. Dabei hatte sie so lange nicht in diesem Haus geweint.
Es klopfte. Sie versteckte das Handy in der Tasche. »Ich habe doch gesagt, dass du mich in Ruhe lassen sollst!«
Aber es war nur Thessa, die im Türrahmen lehnte und an der Schlaufe des Bademantels nestelte. »Ich schätze, ich habe tatsächlich den falschen Tag erwischt, um bei euch einzuziehen. Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Nein.«
»Geht es um Kay Gordon?« In ihren Händen erschienen die Zeitungskopien. »Den Fotografen? Seid ihr ein Paar?«
»Ich … ich weiß nicht, was wir sind. Kennst du ihn?«
»Kennen? Ach, Leah. Sein Leben spielt sich doch in einer ganz anderen Liga ab als meins. Jedes Mädchen wie ich wäre froh, ihn zu kennen. Seine Empfehlung ist eine Eintrittskarte ins Modebusiness, wer würde da schon Nein sagen?«
»Und die Zeitungsartikel?«
»Ich habe von dem Selbstmordversuch gehört.« Thessa reichte ihr die Kopien. »Eine seltsame Sache. Wie kann jemand ein halbes Vermögen für ein Auto ausgeben, es monatelang mit ganzer Leidenschaft auf Vordermann bringen, um darin einen Selbstmord zu begehen? Das ist doch vollkommen … «
Krank. Leah nahm Thessa die Kopien aus den Händen, sah die restlichen Artikel durch. »Hier steht, dass es eine Reihe von Einbrüchen und Vandalismus gegeben hat. Aber Kay hat nie Anzeige erstattet.« Sie stockte, als eine Schlagzeile sie wie ein Fausthieb traf: DU hättest tot sein sollen! – Was meint dieser Mann mit seiner Botschaft? Das grob gekörnte Foto zeigte das verzerrte Gesicht eines Obdachlosen, der von zwei Polizisten abgeführt wurde. »War es denn überhaupt ein Selbstmordversuch?«
»Geld und ein so schneller Aufstieg machen Feinde. Er war – und ist – ein Überflieger. Kam buchstäblich aus dem Nichts, knipste herum, respektlos allen Regeln der Kunst gegenüber, und hatte Erfolg. Einen unglaublichen Erfolg. Was da tatsächlich passiert ist, kann man nur mutmaßen. Ich weiß nur, dass man danach knapp ein Jahr nichts mehr von Kay Gordon gehört hat. Dann tauchte er wieder auf, bestens in Form und verschlossener denn je. Jedenfalls umgibt ihn eine gewisse Aura. Man sagt, dass seine Fotos die nackten Seelen preisgeben. Dass er … auf den wahren Schmerz aus ist.«
»Ich will aber darüber nicht mutmaßen.« Sie holte ihr Handy heraus. Wollte ihn anrufen. Nichts fragen. Nur » Ich brauche dich « wispern .
»Ich schätze, ich sollte dich jetzt lieber allein lassen.«
»Ja.«
»Sei aber trotzdem vorsichtig, okay? Man weiß ja nie. Er ist … Nun ja. Man munkelt eben so einiges.«
»Bitte geh jetzt.«
»Klar. Bin so gut wie weg. Ähm. Ist jetzt ziemlich blöd, aber … kann ich vielleicht mit, wenn du ihn das nächste Mal triffst? Als deine Freundin oder so?«
»Thessa … «
»Schon gut, schon gut. Lass uns später darüber reden.«
Reglos wartete Leah, bis Thessas Schritte in den Tiefen des Hauses verklungen waren. Schließlich wählte sie seine Nummer. »Nimm ab, Kay. Bitte nimm ab.« Sie hielt inne.
»Kay Gordon.«
»Kay … « Der Signalton der Mailbox unterbrach sie jäh.
Danach folgte Stille.
In die sie hineinschwieg.
25
Er sah ihr Foto als Erstes, wenn er aufwachte. Es stand auf einer Anrichte neben seinem Bett, in einen
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