Im Visier des Todes
zierlichen Hand schwenkte. Sein Name klang in allen Sprachen gleich, doch aus diesem Mund beinahe sündig – und genauso künstlich wie ihr Augenaufschlag mit den falschen Wimpern und der kecke Schönheitsfleck auf ihrer rechten Wange.
Früher wäre es ihm wenigstens gelungen, ein Lächeln aufzusetzen. Aber sein letztes hatte er bei Leah zurückgelassen, als er heute früh, noch in der Dunkelheit, einen einsamen Kuss auf ihre Wange gehaucht hatte.
»Excusez-moi!« Er schlängelte sich an der Dame vorbei und nahm sich von einem Tablett ein Glas Champagner. Umgeben von seinen Fotografien an den Wänden fühlte er sich wie ein Fremder inmitten der eigenen Gefühle. Er ließ den Blick über die Bilder wandern und sah überall nur das eine, leuchtend orange, das er in seinem Hotelzimmer hütete. Die anderen, im Hier und Jetzt, riesengroß und unzähligen Blicken preisgegeben, schauten ihm wie aus der Ferne zu. Als wäre er einer von diesen ihn umgebenden Damen und Herren, die sich selbst wie wahre Kunstwerke in Szene setzten und nicht die Bilder beäugten, sondern ihresgleichen.
Er schnappte sich noch ein Glas und verzog sich in den hinteren Abschnitt neben der aufgebauten Technik, wo der Projektor die Aufnahmen des heutigen Empfangs auf eine große Leinwand warf. Es war Elinors Idee gewesen, jemanden zu engagieren, der die Veranstaltung mit Fotos live begleiten sollte. Die Gesichter vergnügter Prominenz im Tumult der Party wechselten sich mit Ansichten des Saals aus verschiedenen Perspektiven ab. Er starrte auf die Leinwand und suchte vergeblich nach den vertrauten Zügen, die sein Inneres stumm heraufbeschwor.
Sein Handy kündigte eine SMS an. Er schaute auf das Display, sah Nicks Namen und rief die Nachricht ab. Während sein Freund sich im Gespräch meist sehr wortreich äußerte, waren seine Nachrichten oft eher kryptisch: »Dein vater aus der stadt verschwunden. Sei vorsichtig. Evtl. neue spur. Melde mich. Nick.«
»Ah, Kay, je t’ai déjà cherché. « Neben ihm tauchte eine Frau auf. Ihre zitronengelbe Seidenrobe schimmerte unter den Deckenleuchten, von der großzügig freigelegten Hals- und Brustpartie hob sich der schwere Goldschmuck ab. » Je voulais te dire que je suis enthousiasmée par tes photo…«
»Et bien, merci.« Er steckte das Handy weg, sah über sie hinweg und nippte an seinem Sekt. Vater aus der Stadt verschwunden. Folgten ihm seine Gespenster etwa schon jetzt? Das hatte er doch gewollt, oder etwa nicht?
In seinem Kopf rauschte es – von der Musik, den Stimmen, von mehr und mehr Alkohol. Die weich ineinanderfließenden Projektionen auf der Leinwand lullten seinen Verstand ein. Bei so viel Prominenz durfte die Vernissage als Erfolg gewertet werden, er sollte sich glücklich schätzen, glücklich …
Wie beim Lauschen auf ihren Atem, dem Duft ihres Haars? Oder wie beim sanften Druck ihrer Lippen auf seinem Mund, wenn sie ihn am Nacken packte und ihn über seine Beherrschung hinweg küsste.
Die Frau neben ihm beugte sich ein Stück zu ihm und gurrte ihm etwas vor, aber er fühlte sich zu betäubt, um das Französische auseinanderzuklauben. Die Bilder des Empfangs flossen an ihm vorbei wie ein Traum aus weißem Seidenchiffon mit Tigerstreifen …
Ein halb aufgelöster Chignon, zwei Haarspangen … zwei Plastiklilien …
Er spürte, wie seine Glieder schwach wurden. Wie viele Menschen auf diesem Planeten trugen zu einem Roberto-Cavalli-Kleid Haarschmuck aus der Drogerie um die Ecke?
Die Frau neben ihm japste auf und taumelte zurück, rief wieder, die Gäste ringsum machten ihrer Entrüstung Luft. Kay registrierte Tropfen, die in ihr Dekolleté perlten, den nassen Fleck auf der zitronengelben Robe, seine Hand, die das Sektglas noch immer viel zu schräg hielt. Sein Blick schweifte erneut zur Leinwand, suchte dort nach dem entschwundenen Traum in Seidenchiffon, aber die Aufnahmen zeigten alles Mögliche, nur nicht … sie. Natürlich nicht. Was sollte sie hier auch machen, bei ihm in Paris, wo er sie doch so …
Die Frau machte einen Schritt auf ihn zu, fauchte ihn an, während ihr perfekt manikürter Finger auf ihr Dekolleté zeigte: » C’est une robe de Lars Wallin! «
»Oui.« Aber die Plastiklilien … er konnte sich unmöglich auch nur etwas Annäherndes eingebildet haben. Er sah die Frau an, nickte. »Oui, je vois.«
Im Vorbeigehen, den Blick auf die Leinwand gerichtet, drückte er ihr das Sektglas in die Hand und schlängelte sich zwischen den umherstehenden Menschen
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