Im Visier des Todes
verstört, als sähe er bloß ein Trugbild, ein ätherisches Wesen, das sich bei der kleinsten Berührung auflösen würde. »Bitte bleib.«
»Damit du gehen kannst? Ich glaube, ich bin zu oft geblieben.«
Ohne einen weiteren Hicks hätte das um einiges dramatischer geklungen. Sie biss sich auf die Unterlippe. Ihr war so kalt. So einsam. Sie hätte sich nicht an ihn gewöhnen sollen. War sie in Wirklichkeit hierhergekommen, um ihn zu verlassen? Um das Gefühl, verlassen zu werden, nicht mehr zu ertragen?
Ihre Clutch würde bald erwürgt sein von ihren Fingern. »Was machst du nur? Was willst du eigentlich von mir?«
»Dass dir nichts passiert.«
Zumindest der Schluckauf war vorbei. »Es ist aber etwas passiert. Auch wenn wir uns einig waren, dass der Sex zwischen uns nichts bedeutet.«
»Mir bedeutet er viel.«
In ihrer Nase kribbelte es. Und ausgerechnet ein Taschentuch hatte keinen Platz in ihrer Tasche gefunden. »So viel, dass du nach Paris flüchten musstest?«
»Ich habe es getan, damit du … «
»Ich weiß, warum du es getan hast. Elinor hat mir von deinem Vater erzählt. Aber warum hast du mit mir nicht darüber gesprochen?« Wir hätten es zusammen durchgestanden.
»Ich ertrage die Angst nicht, er … oder sonst jemand, der es auf mich abgesehen hat, könnte dir etwas antun.« Mit den Fingerspitzen berührte er ihren Arm. Sie zuckte zurück und hatte wieder Gänsehaut. Was die Frau auf dem Foto unmöglich mitfühlen konnte – der Sommerregen auf dem nackten Körper.
Sie sah ihm in die Augen.
Hoffnungslos verletzlich.
Sie beide.
Zwischen den Tränen.
»Und jetzt?«, flüsterte sie. »Wer von uns wird gehen?«
»Bitte bleib. Ich möchte, dass du alles über mich weißt. Und erst dann die Entscheidung triffst, denn ich kann … nicht. Ohne dich.«
Die Menschen um sie herum schienen einen Sog zu bilden; Leah bemerkte Blicke, die ihnen zugeworfen wurden, hörte ab und zu ein entzücktes »Kay!«, wenn er auch nur zufällig den Kopf in irgendeine Richtung drehte. »Deine Gäste verlangen nach deiner Aufmerksamkeit.«
»Lass uns von hier verschwinden.«
Sie fragte nicht, ob es richtig war, wenn es so einfach klang – von hier zu verschwinden, endlich miteinander zu reden, etwas zu entscheiden, was keiner Entscheidung bedurfte. So einfach – jeder Schritt, zurück zu ihm.
Er holte seinen Mantel und fragte nach dem ihren. Sie schmunzelte. »Im Hotel. Ich wollte nichts falsch machen – bei dem Kleid und den Schuhen. Trägt man überhaupt einen Trenchcoat dazu? Der Taxifahrer hatte jedenfalls eine gute Heizung im Wagen.« Sie strich über den Stoff. Noch nie hatte sie etwas getragen, was sich wie Wolken anfühlte. »Und? Was sagst du?«
Er beugte sich zu ihr, seine Lippen berührten beinahe ihr Ohr, aber nur beinahe – Leah spürte ihre Wärme und das zärtliche Nichts, das sie von ihm trennte. »Sofort ausziehen.«
Sie neigte den Kopf zu ihm, um seine Lippen zu spüren, aber er spielte mit ihr. So, so. Sie lächelte. »Der Sex scheint dir tatsächlich viel zu bedeuten. Du denkst nur an das eine.«
»Wetten nicht?« Sein Finger fuhr über den Rand ihres Ausschnitts, doch sie spürte die Berührung so intensiv, als würde er über ihren blanken Busen streicheln, nur Millimeter von den Brustwarzen entfernt. »Denn eigentlich gehört das hier nach hinten.« Er legte seinen Mantel um ihre Schultern. »Aber Hauptsache, du steckst darin. Egal, wie rum. Zumal so etwas Ähnliches auch schon Models passiert ist. Sie sind sehr tückisch, diese Wasserfallausschnitte.«
Mit einem Ellbogen stupste sie ihn an. »Na danke, das beruhigt mich ungemein.«
Zusammen bahnten sie sich einen Weg nach draußen, vorbei an dem Türsteher, der mit der Ausstrahlung der Klitschko-Brüder vor einem Ringkampf die Einladungen prüfte und seinen Charme im leichten Lispeln entfaltete, mit dem er die Gäste begrüßte oder verabschiedete. Der Wind wirbelte ihre Haare durcheinander, die sich in ihrem selbst gebastelten Chignon nicht halten wollten, und brachte die Gerüche eines nahe liegenden Restaurants mit sich, etwas Deftig-Süßes, wie Kays Nähe. Seinen Arm hatte er um ihre Schultern gelegt, als wollte er sicher sein, sie bei sich zu haben.
Sie zog den Mantel an der Brust enger zusammen und kuschelte sich in seinen Arm. »Eigentlich hatte ich hier einen roten Teppich befürchtet. Mit einem Parkservice und Limousinen. Und Paparazzi am laufenden Meter. Es beruhigt mich, dass deine Welt etwas prosaischer ist, als ich
Weitere Kostenlose Bücher