Im Visier des Verlangens
ballte die Hände zu Fäusten. „Hören Sie, Wachtmeister.“ Sie beäugte den Kragen seiner Uniform, wo seine Dienstmarke verzeichnet war. „Wachtmeister 12-Q. Was fällt Ihnen ein, meine Festnahme zu befehlen?“
Wachtmeister 12-Q trat einen weiteren Schritt vor. „Es ist nicht mein Befehl“, erklärte er. „Der Haftbefehl wurde von Bezirksrichter Fang ausgestellt. Ich habe keine Befehlsgewalt – ich bin nur ein Vollstreckungsbeamter.“
Verständnislos sah sie ihn an.
„Ich vollstrecke nur“, wiederholte er. „Vollstrecken. Verstehen Sie? Ha. Ha.“ Wachtmeister 12-Q lachte trocken.
Kates verständnisloser Blick wurde zu einem eisigem Funkeln.
„Ich nehme an“, fuhr der Beamte gedehnt fort, „es wird Sie weniger erheitern, zu hören, dass Ihnen ein Prozess bevorsteht.“
„Ein Prozess! Wie lautet die Anklage? Und wann?“
Der Konstabler baute sich vor ihr auf, während ihr Diener sichtlich verlegen von einem Fuß auf den anderen trat, unschlüssig, wie er sich verhalten sollte.
„Hören Sie“, erklärte Wachtmeister 12-Q, „eine feine Dame wie Sie wird sich doch nicht einem Konstabler widersetzen. Und was den Zeitpunkt betrifft: jetzt sofort. Warum wohl sollte man mich sonst schicken? Die Justiz wartet nicht. Schon gar nicht, wenn sie von Richter Fang vertreten wird. Er macht nicht gerne Überstunden.“
„Aber ich habe eine Verabredung zum Tee.“ Kate stellte wieder einen Fuß auf das Treppchen der Kutsche, und ihr Diener verneigte sich höflich. Ihre Stimme klang entschieden gefasster, als ihr zumute war. „Wollen Sie damit etwa sagen, ich soll einen langen Umweg machen … zu …“
„Zum Bezirksgericht am Queen Square, Ma’am.“ Er befingerteden Kragen seines Uniformrocks. „Dafür steht das Q.“
„Ich soll zum Queen Square fahren und mir Beschuldigungen anhören, die sich irgendwer aus den Fingern gesogen hat? Aber dadurch verspäte ich mich erheblich zu meiner Verabredung. Und ich bin berühmt für meine Pünktlichkeit.“
Wachtmeister 12-Q zuckte gleichgültig die Achseln und fasste sie am Arm. „Wenn Sie sich schuldig bekennen, bleibt Ihnen ein Gerichtsverfahren erspart. Wenn Sie allerdings Ihre Unschuld beweisen wollen, kommt es zum Prozess.“ Seine Hand umfing ihren Ellbogen.
Finster starrte Kate ihn an. „Vielen Dank. Diese Information ist sehr hilfreich.“
„Wie Sie meinen“, fuhr er fort. „Sechs Monate Gefängnis werden Ihre Teestunde noch länger verzögern.“
„Sechs Monate!“ Kate verlor endgültig ihre Gelassenheit. „Sie scherzen wohl. Was, um Himmels willen, wirft man mir denn vor?“
Der Hauch eines Lächelns überflog Wachtmeister 12-Qs Gesichtszüge. „Richter Fang lässt bei weiblichen Straftätern gerne Milde walten. Sechs Monate, wenn er einen guten Tag hat. Aber wenn ich an den vornehmen Herrn denke, der Klage gegen Sie erhebt, kommen Sie wohl nicht so glimpflich davon.“
Natürlich steckte Harcroft dahinter; diesen Verdacht hatte sie von Anfang an gehabt. Aber worauf begründete er seine Klage? Es konnte alles sein, Diebstahl oder sogar Mord. Ihm war jede Tücke zuzutrauen. Gottlob hatte sie ein reines Gewissen, sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen. Sie musste es nur beweisen.
Kate wandte sich an den Diener, in dessen gequälter Miene sie deutlich las: Ich stehe gern in Ihren Diensten. Aber bitte erwarten Sie nicht von mir, dass ich mich einem Konstabler widersetze. Sie seufzte.
„Sie müssen Mr Carhart Bescheid sagen“, schärfte sie ihm ein. „Sie finden ihn im Gericht des Lordkanzlers. Sagen Sie ihm, dass man mich zum Queen Square gebracht hat. Unddass ich ihn brauche. Dringend.“
Der Wachtmeister gähnte gelangweilt, als der Diener sich eilends aus dem Staub machte. „Kommen Sie nun endlich, oder muss ich Ihnen Handschellen anlegen?“
Kate hob das Kinn und ließ sich abführen.
Ned stürmte in die stickige Amtsstube des Bezirksrichters.
Auf der überstürzten Fahrt zum Queen Square hatte er sich eingeredet, an dem gestammelten Bericht des Dieners könne nichts dran sein. Wenn Kate gezwungen war, das düstere Gebäude in Westminster aufzusuchen, so doch nur deshalb, weil sie Opfer eines Taschendiebstahls geworden war. Sie sollte ihre Aussage zu Protokoll geben, mehr nicht …
Weit gefehlt. Ein Konstabler versperrte ihm den Weg, packte zu und drehte ihm den Arm um. Nicht darauf gefasst, ging Ned durch den sengenden Schmerz, der ihm in die Schulter schoss, kurz in die Knie.
Außer dem Polizisten gab es noch
Weitere Kostenlose Bücher