Im Wahn - Moody, D: Im Wahn - Hater
paar Leute handelt, weißt du«, fährt er fort und wiederholt damit nur, was ich schon gehört habe. »Wenn die es bekommen, was immer es ist, drehen sie durch. Vorhin haben die einen Arzt gezeigt, der darüber gesprochen hat. In den ersten paar Minuten muss man aufpassen.«
»Was?«, murmle ich, höre ihm aber nur mit halbem ohr zu.
»Wenn sie es bekommen, verlieren sie die Beherrschung. Sie schlagen einfach blindwütig auf alles in ihrer Nähe ein. Dann beruhigen sie sich wieder. Sie können ihre Untaten dann zwar immer noch begehen, aber nicht mehr ganz so brutal.«
Was redet er da für ein Zeug?
»Was soll das heißen, nicht mehr ganz so brutal?«, frage ich ihn. »Willst du damit sagen, dass sie einen dann nicht mehr töten, sondern nur noch krankenhausreif schlagen?«
»Ich sage nur das, was ich gehört habe«, antwortet er
seufzend. »Wenn es dich nicht interessiert, kann ich ja den Mund halten.«
Ich schüttle den Kopf und blicke wieder zum Fernseher. Sie zeigen Bilder eines Militärkonvois, der irgendwo in ein Stadtzentrum fährt. Ich bin nicht sicher, wo das ist, es kommt mir aber nicht bekannt vor. Die Reporter berichten, dass Polizei und Streitkräfte im Dauereinsatz sind, und ich denke an die Diskussion, die wir gestern Abend gesehen haben. Ist der »kritische Punkt«, von dem sie gesprochen haben, schon erreicht? Die Berichterstatter betonen immer wieder, dass die Behörden zwar unter enormem Druck stehen, aber die Lage dennoch im Griff haben. Gerade noch. Herrgott, ich versuche mir auszumalen, was passiert, wenn diese Sache noch größer wird und sie sie nicht mehr im Griff haben. verflucht, daran will ich lieber nicht denken.
Auf dem Bildschirm werden offizielle Statistiken der Behörden eingeblendet, und ich verliere das Interesse. Ich glaube nicht an Statistiken. Die sind alle frei erfunden. Die können Statistiken so frisieren, dass man alles aus ihnen rauslesen kann.
»Das Problem ist«, sagt Harry, »die haben es außer Kontrolle geraten lassen. Die tun zu wenig, und sie tun es zu spät.«
»Es?«, frage ich. »Was genau soll ›es‹ denn sein?«
Er zeigt zum Fernseher. »Die Unruhen«, antwortet er, »die Gewalt … die Leute.«
Die Statistiken verschwinden, und wir sehen eine brennende Häuserzeile. verzweifelte, schreiende Menschen werden von einer Polizeiabsperrung zurückgehalten. Sie können nur mit ansehen, wie ihr ganzes Leben in Flammen aufgeht.
»Wir erleben hier«, flüstert Harry verschwörerisch, »wie Leute wegen der kleinsten Kleinigkeit in Panik geraten und überreagieren, weil sie ununterbrochen etwas im Fernsehen sehen und erzählt bekommen. Die ganze Situation hat jeglichen Realitätsbezug verloren. Die Leute sehen Tod und Zerstörung im Fernsehen und möchten unbedingt auch dazugehören. Wie in diesen abscheulichen Horrorfilmen, die du und Liz euch anseht. Die bringen einen nur auf dumme Gedanken. Sie pflanzen einem dummes Zeug ins Gehirn und wiegen einen in dem Glauben, dass es richtig ist zu handeln. Jetzt haben sie diesen Leuten sogar schon ein Etikett verpasst. Nennen sie ›Hasser‹, um Gottes willen. Die verherrlichen das Ganze regelrecht. Hört sich fast wie ein Club an, zu dem man auch gehören möchte, nicht?«
Er sagt das Gleiche, was ich gestern auch von mir gegeben habe. Aber ich akzeptiere längst, dass ich mich geirrt habe, und wenn ich mir jetzt die Fernsehbilder ansehe, bin ich noch fester davon überzeugt, dass ich die Situation gestern Abend völlig falsch eingeschätzt habe. Das enorme Ausmaß der Situation macht mir langsam wirklich Angst. Sie sprechen von einer winzigen Minderheit, aber es sind Tausende, wenn nicht Zehntausende Menschen davon betroffen. Jeder vorfall wirkt sich irgendwie auf Hunderte Leben aus. Jung, alt, männlich, weiblich … Menschen aus allen Gesellschaftsschichten sind betroffen. Dies ist mehr als nur Paranoia. Mehr als nur die Medien, die die Stimmung anheizen.
»Ich will keinem Club beitreten«, sage ich, »und niemand hat mich auf dumme Gedanken gebracht. Ich hab keine Schlägereien angefangen. Ich werde ebenso wenig da rausgehen und jemanden verprügeln wie du oder Lizzie.«
»Das weiß ich. Aber wir besitzen geistige Reife und gesunden Menschenverstand, oder nicht? Wir kennen den Unterschied zwischen Recht und Unrecht. Wir wissen, was akzeptabel ist und was nicht.«
»Willst du etwa behaupten, dass alle, die davon betroffen waren, nur unreif sind? Komm schon, Harry, du kannst doch nicht allen Ernstes glauben
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